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Barraquito

Schwelgerisch, schafsgesichtig, die Augen geschlossen sitze ich am Tisch, meinen Barraquito vor mich hin süffelnd. Löffelweise Elixier einfüllen, zuerst den Schaum. Dann stoße ich auf ein Stück Zitronenschale, knabbere es fast unmerklich an, in kleinsten Stückchen. Lukullisch, der Kontrast! Bis er brüllend grell und aufdringlich wird. Ich schnaufe kräftig durch und schüttle mich. Die süßen Reste der Mischung schlürfe ich tröpfchenweise vom Löffel – zuckersüße Kondensmilch lauert da in der untersten Schicht. Ein Binnendessert im Nachtischkaffee. Eine perfekte Kombination mit Tigerstreifen. Der kleine Schluck Alkohol im Kaffee wärmt. Einfach köstlich. Ich lecke mir genießerisch die Lippen, lächle ganz beseelt.

Am Nebentisch klatschen Menschen über eine Darbietung, die ich nicht wahrnahm, weil ich so weggetreten war. Ich war mit meinem Getränk beschäftigt, dem vielschichtigen palmerischen Kaffeecocktail. Ich öffne die Augen und stelle fest, sie klatschen wegen mir.

Die Nachbarin, über mein offenkundiges Entzücken entzückt, bestellt „dasselbe, was die da drüben hat, bitte!“

Ob das auch das Richtige für die Frau des Pärchens im Bergsteigerlook ist? Jetzt schlürft sie. Gräbt. Nickt. Ihre Gesichtszüge werden sanft. Er trinkt einen normalen Kaffee und bleibt Realist. Ich glaube, jetzt gerade trennen sich ihre Wege. Er wird nie wissen, wohin das andere Tor führt, während jedoch ihr Gesicht sich zunehmend entspannt. Vielleicht aber wird sie ihm heute Abend noch Wunder bereiten. Sie schaut ihn so von der Seite an und lächelt schelmisch über einen Gedanken, von dessen Existenz er noch nichts ahnt.

Collage von mir, der Schnipseljäger- und sammlerin mit verschiedenen Schnipseln

Mit lieben Menschen zusammen

Der heutige Morgen stand nochmal im Zeichen der Raunachtsüberlegungen. Ich habe alle blöden Erlebnisse und Vorkommnisse, die mich im letzten Jahr bedrückt haben, aufgeschrieben, auf einem anderen Zettel habe ich dann den Kontrapunkt dazu notiert, so dass das Widernis nicht mehr auftritt – z.B.: “Meine Freunde hatten 2024 so viel Leid in ihrem Leben, das hat auch mich runtergezogen” – und ins Gegenteil verwandelt: “Meine Freunde haben 2025 so viel Freude in ihrem Leben, dass es mein Herz erhebt”. Den Miesmacherzettel habe ich dann verbrannt. Das war einmal. Jetzt ist es vorbei, ab jetzt wird alles gut und rein!

ich (Letteratour) in etwas wildem Look

Lichtaufgehen

Amarilla hatte sich einen Wecker gestellt. In fünf Minuten wollte sie das Haus verlassen und sich mit Ernesto treffen. Sie zog ihre Lippen noch sorgfältig mit dem Lipliner nach und tupfte mit einem Taschentuch ab, reinigte ihre Fingernägel, wusch sich danach die Hände, kämmte nochmal ihre Haare, warf einen letzten Blick auf ihre nackten Beine in den Pumps, rasierte rasch ein einzelnes Haar ab, das verwegen abstand, obwohl alle anderen brav unter der Sense eingeknickt waren, und knöpfte vor dem Spiegel ihren feschen Blazer zu, damit er ja nicht schief säße.

Auf einmal fiel ihr ein: für wen machte sie das eigentlich? Für Ernesto, der sich vor den Treffen nicht mal die Zähne putzte, nur sehr gelegentlich duschte und bestimmt wieder ganz schmutzige Schuhe anhatte? Auf der Hose konnte man meist Fettflecken von seinem letzten Frittenkonsum erkennen. Wieso tat sie das eigentlich? Für ihn oder für sich?

Sie stellte fest, dass sie es für ihn tat, wenn sie ganz ehrlich war. Für sich selbst musste sie nicht perfekt sein. Und plötzlich überkam sie die Wut. Sie nahm ein weiteres Tuch, wischte sich den Lippenstift vom Mund, schmierte eine Kajallinie rund um die Augen, die am rechten Auge anders wurde als am linken, wühlte mit beiden Händen in ihren Haaren, zog den Blazer aus und eine grobgestrickte Jacke an, die gemütlich, aber nicht sonderlich fein war. Schlüpfte aus den Pumps und zog die bequemen Birkenstock-Latschen an. Dann packte sie die Sachen aus der feinen Handtasche in ihren kleinen praktischen Rucksack und trat vor die Tür. “Take it or leave it. Wenn du heute irgendwas Falsches sagst, war es das, Ernesto! Ab sofort bin ich ich – genau so, wie ich grade sein mag und nicht, wie du mich haben willst. So.“

© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

Kabel homöopathisch behandeln. Das Buch für den empathischen Elektriker

Entviren

Mein Ex-Mann, der ja als Perser manchmal dem Deutschen seinen eigenen Stempel aufdrückt, hat ein, wie ich meine, sehr interessantes Verb geprägt. An seinem Arbeitsplatz hatte er auch gelegentlich neue Maschinen anzuschließen. Dabei hat man ihn immer wieder darauf hingewiesen, dass man unbedingt vor Inbetriebnahme das Stromkabel entviren müsse. Das betonte er folglich auch zu Hause jedes Mal, wenn auch immer jemand sich erdreistete, z.B den Föhn einfach irgendwie auf das Badezimmerschränkchen hinzumurkeln oder nach dem Rasenmähen die 15 m Draußenkabel nicht ordentlich aufgewickelt verstaut hatte.

Erst sehr viel später fiel mir auf, dass dieses Wort, von dem ich fraglos angenommen hatte, dass es der Terminus Technicus in seiner Branche sei, seinen Ausspracheunreinheiten zu verdanken war, so wie aus seinem Mund das Wort “Rüben” z.B. eher nach Räuben klang, und entwirren also so.

Und so habe ich den schönen Begriff mit Dank in meinen eigenen Sprachschatz übernommen und entvire hier am Meer meine Gedanken, die sich in letzter Zeit allzu sehr gekräuselt und verzopft haben.

Ich entknote und entflechte, ziepe ein bisschen hier und rupfe da drüben. Diese Strähne muss verzwirbelt und unter jener Schlinge durchgeschoben werden – voilà! Alles glatt! Nun noch mit dem Wider-Nissen-Kamm schön durchkämmen.

Vielleicht haben sich ja alle möglichen pathogenen Erreger in den silbernen Fäden ein gemütliches Nest gebaut– Denkparasiten, bazilläre Ein-und Vielzeller, Kerbtiere der unfrommen Denkungsart, verkohlte Geistesblitzphagen und multiresistente Keinstlebewesen, die gegen jedes Anti-Idiotikum immun sind.

Ohje, wenn ich so weiter mache, werdet ihr mir ja noch ganz vir!

© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

Amselbaby

Ein besonderer Gast

Ich besuchte meine Mutter im Krankenhaus. Sie hatte eine schwere Gehirnblutung gehabt und keinen Lebenswillen mehr. Am liebsten wollte sie jetzt schnell aus dieser Welt gehen. Soviel ich auch auf sie einredete, lehnte sie ab, noch irgendwelche Nahrung zu sich zu nehmen. Seit drei Tagen aß sie jetzt schon nicht mehr.

Um sie auf andere Gedanken zu bringen, erzählte ich ihr von dem, was ich heute erlebt hatte. Ich wusste, dass meine Mutter einen Narren gefressen hatte an den Vögeln in unserem Garten. Sie hatte die Amseln Erich und Erika getauft und liebte die herrlich singenden schwarzen Vögel ganz besonders.

Heute hatte ich etwas entdeckt, das musste ich meiner Mutti berichten. Ich hatte das Fenster geöffnet, um das Staubtuch auszuschütteln, und da sah ich, wie Erich aus einem Busch hervorkam. Er schaute mich sehr genau an, legte seinen Kopf auf die eine Seite, dann auf die andere, wie Vögel das tun, und behielt mich stetig im Blick. Dann wendete er sich um, gab ein Zeichen, und aus dem Busch heraus trat, langsam und etwas unsicher, eine andere Amsel, klein, etwas dicklich, da ganz aufgeplustert und heller als der Erich. Voll Besitzerstolz hatte sich Erich mir wieder zugewendet und mir seinen Sohn vorgestellt. Ich dankte ihm für sein Vertrauen zu mir und freute mich sehr.

Als ich die Geschichte von dem Familienzuwachs meiner Mutter erzählte, stiegen ihr die Tränen in die Augen. Dann sagte sie: Den muss ich sehen! Komm, schieb mir mal das Tablett mit dem Essen rüber.

© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

alter Fußboden, schwarz-weiß

Was wäre denn, wenn…

Gerade habe ich eine Nachricht erhalten, die mich völlig aus dem Gleis wirft. Ich habe mehrere Arbeitsschritte mit mehreren Handwerkern nacheinander geplant. Das muss alles ganz genau so klappen, wie es vorgesehen ist, sonst kann der letzte Schritt nicht erfolgen, und das ist der, dass meine Küche eingebaut wird. Und ich im Anschluss in Urlaub bin.

Und jetzt… Erfahre ich, dass der eine Handwerker wahrscheinlich nicht da sein wird. Er hat ein lukratives Geschäftsangebot bekommen und ist dann mal einfach eine Woche nicht da. Bescheid gesagt hat er mir nicht. Die Nachricht darüber habe ich von einem Freund bekommen.

Der Handwerker sagte mir gestern, sein Vater sei krank, drum sei er durcheinander. Ob das wahr ist? Wenn es nun gar nicht stimmte und er würde mir mitteilen, er müsse zu seinem Vater fliegen, natürlich genau zu dem abgemachten Termin?

Mir wird ganz schlecht. Meine Gedanken galoppieren im Kreis, ich kann sie nicht mehr auf die gerade Bahn lenken, so dass sie logisch und sinnvoll verlaufen. Was wäre jetzt, wenn, der nicht kommt? Dann kann ich alles andere, was danach kommt, nicht stattfinden lassen. Kein neuer Boden, keine Elektroinstallationen, keine neue Küche, kein Einräumen, kein Urlaub.

Der Freund sagt, er kontaktiere jetzt eine andere Firma, die mir helfen könne. Ob der genau dann ein Zeitfenster frei hat? Mein Herz schlägt wieder etwas langsamer. Mein Kopf funktioniert wieder etwas besser. Was wäre, wenn… einfach alles gut würde?

Ich mache mich ans Planen. Ich werde das hinkriegen. Und ich vertraue darauf, dass sich eine Lösung finden wird.

Ein paar Stunden später ist es Abend. Ein neuer Handwerker hat sich bei mir vorgestellt. Er hat ein gutes Angebot gemacht und er hat am abgemachten Termin Zeit. Tatsächlich, alles wird gut. Ommmmmm!

© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

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