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Bild aus dem Nachlass meiner Oma, Ballerina von hinten im Stil von Degas

Der Spagat

Sicher habt ihr eine Vorstellung, was das ist – ein Spagat. Ihr denkt da wahrscheinlich ans Ballett und gelenkige junge Ballerinen oder formschöne stromlinienförmige Ballerinos oder Ballereros oder wie auch immer die heißen, die sich quasi untenrum zweiteilen in einer Übung, die jedem anderen krasse Schmerzen bereiten würde und mit ein bis zwei ausgekugelten Hüftgelenken und/oder einem beschädigten Beinzwischenraum einhergehen würde. Wenn ein Erwachsener einen Spagat beherrscht, ist er bestimmt einschlägig als Tänzer in Aktion, bei einem Kind kann es noch eher sein, dass das eine Übung ist, die noch ohne große Überlegung vonstatten gehen könnte. In meinem Alter wäre es jedenfalls ein Grund, den Notarzt zu rufen. Danach gleich zwei neue Hüftgelenke einbauen und fünfzehn Tuben Blutegelpaste besorgen für die blauen Flecken an den Oberschenkeln.

Ansonsten kann ein Spagat natürlich auch figurativ eingesetzt werden. Dann soll hier eine Brücke gebaut werden zwischen zwei möglicherweise eher unvereinbaren Standpunkten, eine Art Kompromiss. Zum Beispiel zwischen erstens Wohlleben und zweitens finanzieller Situation, die für ersteres vielleicht nicht ausreichend gut ist, aber dennoch kann auf erstens nicht verzichtet werden. Dann reißt man sich ein Bein aus, um es sich doch zu gönnen, wobei es mit einem ausgerissenen Bein fraglich ist, ob dann der Genuss noch so rein wäre oder eher doch sehr schmerzhaft erkauft. Ein Spagat fiele allerdings um die Hälfte leichter, abgesehen vom Aufstehen. Zweiteres würde dann noch schlechter werden, weil die Krankenkasse vermutlich nicht alle Kosten übernimmt. Besonders nach dem ersten Monat ist man dann der Angeschmierte, wenn man sich pflegepersonalfrei um alles selber kümmern muss. Hüpfenderweise einkaufen. Auch beim Autofahren dürfte es ziemlich lästig sein. Einmal links, einmal rechts drauftreten, aber nur abwechselnd. Dann wird zweiteres wieder überanstrengt, wenn man einen Wagen mit Automatik anschaffen muss.

Zwischen der neu entstandenen Situation „arm“ und der eigentlich angestrebten Situation „reich“ wäre dann vielleicht kein Spagat mehr möglich, aber immerhin eine Schere. Hätte man vorher beim Beinausreißen auf die Schere zurückgegriffen, hätte sich das Vorhaben zwecks längerer Schmerzsequenz wahrscheinlich erübrigt, denn so langes Herumschneiden im eigenen Fleisch hält der stärkste Ballerero nicht aus.

© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

Das Meer weiß nicht, was es will

Meerglasfischerin

Wieder mal ist das Meer ganz verstört, aufgeschreckt durch die Wasserfluten, die nachts den Himmel verlassen haben, während Tazacorte friedlich schlummerte. Da klopfte es nicht nur auf mein Dach und an mein Fenster ohn‘ Unterlass, sondern da wurde auch das selbstreinigende Meer von oben heftigst geduscht und zieht nun ziellos mit seinen Wellenkämmen in jegliche Richtung, ganz ohne Exerzierordnung und Eleganz. Die im Sonnenlicht silbern schimmernden Wogen weit draußen leuchten zu mir herüber und zeugen von der Verwirrung dieses kleinen Zipfels des großen Ozeantuchs hier vor meiner palmerischen Haustür. Dabei weiß das Meer doch gar nichts vom Weltgeschehen. Es spiegelt das Durcheinander, das gerade herrscht jedoch auf seine unnachahmliche Art und hat wie auch wir Menschen im Moment keine genaue Vorstellung davon, wie es jetzt weitergehen wird.

Drei verschiedene Duftflacons

Duftproben

Frederikson hatte sich ins Bett gelegt. Es war ein enormes Bett, ein absolut übergroßes Bett, sowohl in der Breite, als auch in der Länge, wie auch in der Höhe. Ein Queensize-Bett ist noch harmlos dagegen. Er hatte es selbst gezimmert. Das war kein Doppel- oder Tripelbett, nicht mal ein Quadrupelbett. Da passte eine ganze Fußballmannschaft hinein. Dafür passte sonst nichts mehr in den Raum, denn der war so ausgefüllt, dass man vom Fußende aus ins Bett hechten musste. Wenn man krank war, war das unangenehm, denn dann fehlte die Kraft, und ganz schlimm war dies z.B. bei einem Magen-Darm-Virus. An so etwas hatte er natürlich im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte beim Bauen des Bettes nicht gedacht.

Mindestens 2 kg schwere Bananenblüte

Wie man zwischen Kokon und Bananenblüte den Faden nicht verliert

Nachdem ich heute morgen wieder ein bisschen den Pinsel geschwungen habe, um eine Kritzikratzi-Schnellskizze, die ich am Hafen in einer Minute nach Anweisung erstellt hatte, aufzuhübschen, fuhr ich ratzfatz los, um in El Paso ins Seidenmuseum zu gehen, denn der Wetterbericht war sehr wenigversprechend, und da wollte ich gerne was zu tun haben. Die seltsame Straße, die mein Navi mich da hochführt („folgen sie 800 m dieser Straße“ – die schnurgerade sehr steil nach oben geht und tausendundein tiefes Schlagloch hat), schreckt mich inzwischen nicht mehr. Runterwärts bin ich sie heute sogar freiwillig gefahren, obwohl es andere Wege gab. Die von der Autovermietung hatte mir gesagt: „Unbefestigte Straßen dürfen sie doch nicht fahren!“ als ich ihr berichtet hatte, dass es hier so viel Serpentinen und schlechte Straßen gibt. Ich bin halt ein Flachland-Stadtkind. Bei uns kommt sowas nicht vor, dass man über 800 m im ersten Gang bergauf kriechen muss. Befestigt sollte man diese theoretisch asphaltierten Straßen schon nennen. Sie sind halt wohl einfach jahrzehntelang nicht mehr repariert worden.

Hirschin?

Natürliches Habitat

Emil schwamm mal wieder. Alles schwamm in diesem Büro. Keiner wusste genau, was er tun sollte, noch wer die angefangenen Arbeiten im nächsten Schritt weiterbearbeiten würde. Mit dem restlichen Vorgang wurde irgendwie stets ein anderer betraut, so dass die linke Hand nicht wusste, was die rechte tat.

Emil hatte hier lange zugesehen und war der Einzige, der die Dinge halbwegs unter Kontrolle hatte, denn er hatte ein phänomenales Gedächtnis. Hatte er irgendeinen Arbeitsablauf bereits einmal erledigt, der so ähnlich war wie das anstehende Problem, das er jetzt lösen musste, so konnte er sich jedes noch so kleine Detail ins Gedächtnis rufen. Da es damals geklappt hatte, würde es auch diesmal in genau derselben Weise funktionieren. So war er der Einzige in der Arbeit, der stets gut gelaunt war und schräg vor sich hinpfiff, was die anderen mit Befremden zur Kenntnis nahmen, auch wenn sie es akzeptieren mussten. Denn Emil wurde oftmals vom Chef gelobt.

An Weihnachten wollten sie ihm aber alle einmal zeigen, was sie von ihm hielten. Am letzten Tag stand ein Päckchen auf seinem Tisch, eingewickelt in ein billiges Nullachtfuffzehn-Papier. Darin befand sich ein Briefbeschwerer aus Messing in Form eines gehörnten Waldbewohners. Auf der dazugehörigen Karte stand in aus der Zeitung ausgeschnittenen einzelnen Wörtern bzw. Buchstabengruppen: „Sie sind der Leitwolf in dieser Suppe, selbst wenn Sie ein Hirsch sind“. Während ihn alle heimlich beobachteten, überlegte Emil sich, ob er sich freuen oder ärgern sollte. Er musste erstmal die Feiertage drüber schlafen.

Am ersten Tag nach dem Betriebsurlaub erschien er in braunem Anzug im Büro mit einem Hirschgeweih auf dem Kopf und allerbester Laune. Wie du und ich hatte er schon als Kind gelernt, genau so zu werden, wie es die anderen von ihm behaupteten und diese Nische vollends auszufüllen. Er setzte sich an seinen Tisch und bellte heiser.

Apfel (Manzana), Rosmarin (Romero), Pepperoni (Pfeffer ist Pepe auf Italienisch)

Wie bewegt sich ein Duft?

Romero kam leise ins Zimmer, er bewegte sich fließend und frei im Hintergrund und doch schien es, als fülle er das ganze Zimmer. Wo man auch hinsah, Romero war auch schon da. Nicht ganz deutlich zu erkennen, aber man ahnte doch, dass er es war. Nein, er war nicht an jedem Ort gleichzeitig, so schnell bewegte er sich nicht, aber er schaffte es, seine Präsenz überall zu zeigen. In schwellenden Bewegungen durchfloss er fast den Raum. Es war eine Lust, ihm zuzusehen und manch einer biss sich auf die Lippen, weil er in seinem Innersten sich etwas regen fühlte, was eigentlich nicht sein sollte.

Da prellte die Tür auf und Pepe platzte herein. Pepe, die Knalltüte, lautstark, nicht zu überhören und nicht zu übersehen. Schrill gewandet in schreiend rot-gelbe Papageienfarben mit schwarzen Akzenten. An Pepe war irgendwie immer alles zu viel. Er krakelte, wenn er sprach, er polterte, wenn er sich bewegte. Tolpatschig war er auch. Die Hausherrin hielt sicherheitshalber ihre Vase mit den Strelitzien fest, als er in diesen Teil des Raumes trampelte wie ein Holländer mit Holzschuhen. Schon äußerte er etwas Freches mit schneidender Stimme, als er die Bergungsversuche der Dame bemerkte. Zwei Herren im Raum fanden seinen Auftritt schon etwas heftig und fingen vor Empörung an unisono zu niesen, konnten fast nicht mehr aufhören damit und schneuzten sich wie abgesprochen gleichzeitig kräftig in großformatige graukarierte Stofftaschentücher.

Was für ein Glück, dass in diesem peinlichen Augenblick Manzana mit ihrer friedfertigen, versöhnend wirkenden Art den Raum betrat. Sie strahlte eine feine Lieblichkeit aus, und alle Herzen hoben sich, als sie sie bemerkten. Sie lächelte alle freundlich aus ihrem herzförmigen Gesicht an, und ihr leichtes, weites pastellgelbes Sommerkleid schwang von ihren rundlichen Hüften, während sie ihre zierlichen Beine in den hübschen Riemenschuhen elegant aufsetzte und sich, ohne großen Aufwand einen Weg durch die Partygäste auf die andere Seite des Raumes bahnte. Ein aprikotfarbiges Bolero aus Seidenstoff hing stylisch auf halber Höhe über ihren schmalen Schultern. Ein jeder machte ihr ungefragt Platz, und so hatte sie leichtes Spiel, das Sofa auf der gegenüberliegenden Seite mit Beschlag zu belegen und den Raum den ganzen Abend im Auge zu haben. Die Herren hatten ihr – ganz die Kavaliere – bereitwillig Platz angeboten, und so setzte sie sich feingliedrig und anmutig, schlug ein Bein leicht vor das andere und zog die wohlgeformten Waden seitlich zum Sofa heran, was elegant und mondän wirkte. Ohne viel zu unternehmen, hatte sie den ganzen Raum bezaubert.

Jemand schlug vor, die Fenster hinter den bodenlangen Vorhängen zu öffnen, denn mit diesen drei Persönlichkeiten in einem Raum brach so manchem ein feiner Schweiß aus. Eine lange unterdrückte, leicht animalische Gier hatte sie alle erfasst und gleichzeitig das seltsame Gefühl, hier sous-vide in diesem dämmrigen, nur mit einigen Kerzenleuchtern erhellten Raum langsam im eigenen Saft gegart zu werden und beim Abendessen, das in Bälde stattfinden sollte, womöglich in einer Terrine mit goldverzierten Porzellangriffen in der Tischmitte zu landen.

© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

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