Ich liebe es, zu fotografieren, was ich beobachte. Dann kann ich mit nach Hause tragen, was mir einen freudigen kleinen Stich ins Herz versetzt hat. Nicht, dass ich aus Prinzip Eindrücke schnorre und den Künstler auf seinem Opus sitzen lassen möchte. Ich könnte das eine oder andere Werk schon anschaffen. Aber ich habe ein echt großes Herz und für alle Liebe-auf-den-ersten-Blick-Werke ein leider unzureichend großes Haus. Zumal meine Familie selbst gemalt hat, und ich so viele Gemälde aus eigenen Familienateliers habe, dass ich sie stehend in Regalen lagern muss.

Im ersten Künstlerraum, wo es gegenüber den 29° draußen angenehm kühl war, wurde mir gleich das Fotografieren aus der Nähe untersagt. Anscheinend hatte jemand sich erdreistet, Fotos zu nutzen, um die Werke der Künstlerin unverschämterweise auszudrucken und damit seine Wohnung zu dekorieren. Da wäre ich aber auch sauer!

Dennoch habe ich festgestellt, wie ein gewisses Ressentiment in mir hochkam, als sei ich in meiner Freiheit beschnitten worden. Freiheit, ein Bild in voller Pracht in mir erblühen zu lassen, benötigt bei mir anscheinend inzwischen den Blick durch den vorgegebenen Rahmen meiner Linse. Wird das Gesehene nur durch das Objektiv subjektiv verinnerlicht?

Ich strafte die Bilder daher mit raschem Vorbeigehen ab. Eine fotografische Draufschau von der Tür aus war immerhin erlaubt. Trotz der mangelnden Bilderaffinität tätigte ich eine Vorbestellung einer kleinen Sonderanfertigung. Eine der Künstlerinnen (Naza Martin, La máquina creadora) hier war nämlich meganett. In diesem Atelier war die Tür übrigens so offen, dass es gar keine gab.

Sperrangelweite offene Tür des Ateliers

Dann besuchte ich eine andere Werkstatt in einem schönen alten Haus mit gefährlicher Treppe – gut, dass ich sie nicht öfter betreten muss. Hier wurden in rembrandtartigem Stil gruselige Geschichten gezeigt. Bilder alter Meister waren von Thorsten Bechtluft verfremdet worden und satanistischen Ritualen angemessene Dunkel-Albträume, ziegenbockhörnige Gesellen und magisch-düstere Fesselspiele waren zum Beispiel geboten. Der Nacht-Hyde aus meinem anderen Blog könnte vor diesem Hintergrund gruftige Erzählungen mit bitterbösem Ende kreieren; heute war aber eher die fröhlich grün-gewandete Jekylline in mir unterwegs und hat sich im selben Gebäude in zwei farbenfrohere Sammelmappen für meine Reiseeindrücke verliebt. Hier wurden Blanko-Blatt-Unikate verschiedenster Art in wunderschöne handgemachte Buchrücken gebunden. Das eine Buch enthält auch ein Set Drachen-Karten nebst Anleitungen. Doch, das musste sein! Vielleicht brauche ich bei der Heimkehr dann einen dritten Koffer, wenn das so weitergeht!

düstere Szenarien eines Künstlers mit Hörnern, Fesseln und Augenbinde im Rembrandt-Stil. Bilder von Thorsten Bechtluft

neu erworbenes Drachenbuch und weiteres wunderschönes Blankobuch

In einem weiteren Atelier bewunderte ich das stylische Ambiente, das mir mehr zusagte als die Gemälde. Interessante Künstlerköpfe waren an beiden Orten zu beobachten: Männer mit langen hochgesteckten Haaren finde ich einfach großartig. Ich sehe sie gern, so wie Kunst und Skulpturen– einfach, weil sie schön fürs Auge sind.

Kritzelanfälle im stylischen Ambiente
Grünpflanzen und grüne Reflektion meiner Wenigkeit (Letteratour) im Spiegel

Ein paar Straßen weiter fand ich die Glücksknotenknüpferin Emelie (Blue Bird Maritimas) mit Bananenblatt-Hut-Kreationen. Einen Piratendreispitz hatte sie auch, der hatte mich fast angemacht. Ein dazu passendes Holzbein würde ja meine Asymmetrie noch betonen, aber eigentlich wäre ich kopfabwärts lieber symmetrisch!

aus Bananenblättern geflochtener Dreispitz-Hut und Impressionen aus der Werkstatt der Künstlerin Emelie (Blue Bird Maritimas)

Die Ladenbesitzerin empfand ich als einen sehr sympathischen Menschen. Sie scheint auch eine Freundin meiner Vermieterin zu sein. Ich werde in diesem Ort jedenfalls nicht mutterseelenallein sein, wenn ich mal mit jemandem quatschen will. In natura hat man nicht so viele Bildstörungen wie bei den Videotelefonaten. Das Internet hier macht mir leider ziemliche Faxen. Nur live is live! Mit Standbild bleibt so viel Gesagtes un-erhört.

Regenbogen über meiner Wohngegend in Tazacorte

Nach der Atelierbesichtigung setzte ich mich auf einen niedlichen kleinen Platz mit Blick auf einen Regenbogen über meiner „Villa“ und sorgte dafür, dass mein Bauch eine Wohlfühlmahlzeit bekam. Im Anschluss ging ich zurück zu dem großen Atelier vom Anfang. In dem wurde nämlich nun live Tangomusik gespielt und einige Paare wohlgeübte Füße wagten sich kühn auf das Parkett. Damenbeine züngelten lüstern oder spielerisch an Herrenhosen hoch und versetzten ihre Tanzpartner in glutrünstige Bewegungen. Da ich im Tangotanzen nicht gerade brilliere, signalisierte ich auch niemandem, dass er um einen Tanz bitten sollte.

Tango-Musiker in action

Gegen Schluss juckte es mich aber dann doch in den Füßen. Und so tanzte ich eine Runde allein, was einigen anderen den Mut gab, ebenfalls aufzustehen und sich dekorativ zu bewegen. Eine rot gewandete ältere Schönheit im Stile Tina Bauschs zeigte jetzt ebenfalls ganz allein ein sicherlich vielfach einstudiertes Repertoire, und wir beide waren etwas traurig, dass an diesem Punkt der Abend offiziell endete.

Die anderen standen sicher noch länger beieinander, ich aber begab mich zurück zu meiner Dachterrasse bei immer noch stark überhöhten Temperaturen. Im Kühlschrank fand ich einen nicht gerade lukullischen offenen Weißwein im Tetrapack von der letzten Untermieterin. Ich glaub, an dem Weinvorrat muss ich ein bisschen arbeiten. So geht das nicht! Schließlich ist auch hier bald Weinnacht!

Weihnachtsgirlandenbekränzte Straße in Tazacorte

© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.