Gerade komme ich vom Flughafen auf der anderen Seite der Insel zurück, an dem ich nun meine Vermieterin Judith abgeliefert habe. Sie hat noch weite Reisen vor sich und sagt, sie habe ein gutes Gefühl, wenn sie sich vorstellt, wie ich bei ihr daheim gemütlich auf der Terrasse sitze und Worte in den Laptop fließen lasse, so wie sie das mit mir ja erlebt hat – trautes Zweisamkeitsgefühl beim Hacken in den Rechenknecht.
Auf Persisch sagt man „dein Platz ist leer“, wenn man jemanden vermisst, und das könnte dann sein, denn sie thronte immer zu meiner Linken in einem Ohrensessel, während ich im Holzstuhl vor mich hintippselte. Ich bin aber nicht so ganz der Ohrensesseltyp. Mal sehen, wie sich das entwickelt. Auf jeden Fall gähnt dieser Sessel jetzt bereits leer vor sich hin.
Pünktlich zum Abschied (wir saßen vorher noch gänzlich ungeschoren im Freien in einem Café in Flughafennähe und haben Leckeres schnabuliert) wurde Judith dann noch mit allen Wassern gewaschen. Die Insel, die ja quasi fast immer regenfrei ist, wollte ihr heute den Abschied leicht machen. „Dem Regen muss sie entfliehen, die Arme, kein Wunder, wenn sie es auf La Palma nicht mehr aushält…“ Naja. Ich vermute mal, morgen ist es wieder schön hier! Die Natur hat vermutlich keine Einwände gegen die paar Tropfen.
Nun bin ich also allein hier, kann schalten und walten, wie ich will, zum Beispiel auch endlich das Deckenlicht im Schlafzimmer einschalten. Heute hat sie eine frische Glühbirne bekommen. Schon etwas einfacher damit. Auch habe ich Platz im Schrank freigeräumt bekommen, was auch eine nette Entwicklung ist. Nun ist aktuell also alles perfekt.
Gestern war ich wieder am Strand unten. Eigentlich wollte ich es wagen, in der Bucht, wo keine hohen Wellen sind, wie so viele andere zu baden. Aber dann war es bedeckt und windig und so stellte ich mir das nicht ganz so freudig vor.
Durch meinen Geist flossen aber die Wellen des Meeres, mich salzte schon allein durch die Luftfeuchtigkeit die Ursuppe der Ozeane, meine Haut gerbte der Wind und darrte mich auf meinem blauen Liegegestell, wie ich mich da dem wehenden und dem wärmenden Element darbot.
In meinem Rücken warteten, ohne zu drängeln, die Berge, ob wir das alte Kriegsbeil nicht endlich begraben können. Unaufdringlich sandten sie ihre Botschaft, die hier überall in der Luft schwingt, so dass meine Antennen fast wie von selbst auf Empfang gingen.
Währenddessen träumte ich bereits davon, schlanker und agiler als jetzt vielleicht etwas mehr Fußwerk in meine Tage einbauen zu können, um dem Gebirge eine Chance zu geben. Ich bin ja ein versöhnlicher Mensch… Zwar sage ich immer erst mal reflexartig Nein, lasse mich aber dann leicht überzeugen, wenn die Argumente stimmig sind.
Während ich da so ein bisschen vor mich hinfror, mischten sich auf einmal Sphärenklänge unter das Meeresrauschen und das vielfältige Geschnatter der Gäste aus dem Restaurant hinter der Steinmauer, die mich vor dem Wind abschirmte. Zart schmelzende, dicke, weiche Töne waren es, die trunken vor Purpurrot und Fliederblau mein Gehör fluteten.
Da spielten genau die Songs, die ich liebe, in einer Manier, als hätte die Band eine Lehre bei Pink Floyd, Chris Isaac und Roxy Music abgeschlossen.
Man hätte schmelzen können, wenn jetzt nur noch die Sonne warm geschienen hätte, aber gegen Abend hatte sie an Kraft verloren. Es ist ja auch Dezember und eigentlich Vorweihnachtszeit. Eine Weile noch ließ ich mich von den zauberhaften Tönen umschmeicheln, die mich pastellfarben sanft umarmten und wiegten.
Schließlich packte ich zusammen, um den Musikern in die Augen zu sehen. Es war zu meiner Überraschung nur einer, und der sah völlig anders aus als erwartet, ganz modern mit einseitig raspelkurzer Friese, mit Sonnenbrille, Tattoos und schwarzem overallartigen Outfit. Der junge Mann freute sich sehr über meine Zuwendung. Viele andere hatten ihn nämlich nicht bereichert. Er packte leider ein, kaum hatte ich einen Platz im Lokal mit Blick auf seine Darbietung eingenommen.
Mit seinem Hut ging er an den angrenzenden Tischen vorbei, aber die Leute taten so, als sähen sie ihn nicht. Ich strahlte ihn an und betonte noch einmal, wie schön ich seine Musik fand, und in mir drinnen waberte die Wärme der wunderbaren Klangmuster noch eine Weile nach, während die Sonne sich mit dem jungen Mann verabschiedete.
Eine Fischsuppe und gebratene Sardinen mit Salat gönnte ich mir und traf dann noch Judith auf einen Kaffee im nächsten Lokal, wo sie, mangels rechtzeitiger Absprache unabhängig von mir diniert hatte. Gerne hätte ich ja noch ein bisschen mehr Zeit mit ihr verbracht. Gemeinsam beobachteten wir einen Knaben, der über die Mauer immer wieder einen wunderbaren verquirlten Salto schlug. Ein talentierter, fröhlicher junger Mann ohne Öffentlichkeitsscheu! Mit Erlaubnis zeige ich ihn hier auch, genießt seinen Schwung!
Während ich das hier schreibe, vor Wolkenwänden am zur Unkenntlichkeit bedeckten Himmel, mit Blick auf im Meer versenktes EU-Beihilfegeld (hier für einen von Anfang an viel zu klein gebauten Hafen für Kreuzfahrtschiffe, die da aber nur in halber Breite hineinpassen würden) tönen von unten schöne Musikfetzen herauf. Irgendwo scheint eine Party mit Live-Musik zu laufen. Judith, wenn du nach mehreren Etappen am Zielort angekommen bist, feiern wir eine Party, ich hier und du dort. Auf deinen Wagemut sollten wir anstoßen! Gute Reise!
Gudrun
Du hast wieder toll geschrieben, so schön, dass ich es beim Lesen vor meinen Augen gesehen habe.
Ich freue mich auf den nächsten Tag, den Du beschreibst.
Manuela Hoffmann-Maleki
Wie schön, das freut mich sehr!