Der Abreisetag meiner Land Lady ist in bedrohlich greifbare Nähe gerückt, dennoch stehen die Koffer für Sri Lanka immer noch gähnend leer im Wohnzimmer. Ich muss schon sagen, als ich mir überlegt habe, was ich für drei Monate hier brauche, habe ich schon ein bisschen früher mit Packen angefangen! Und trotzdem lauter falsche Sachen mitgebracht. Ich hätte viel mehr trägerlose Sommerkleider gebraucht und nicht so viele Jacken. Außerdem habe ich zwei lange Jeans dabei, bräuchte aber Bermudas und Röcke. Was soll‘s, das wird sich auf der Insel finden lassen. Hoffentlich auch ein schicker Koffer, um die Sachen dann in einem weiteren Gepäckstück nach Hause zu befördern!
Gestern gab ich mich dann nochmal dem Strandleben hin. Oder vielmehr dem Strandliegen. Ich hatte mir ein Buch mitgebracht und mich mit meiner horizontalen Wälzerei rundum mit schwarzem Sand paniert, während ich eine bequeme Armhalteposition suchte. Das Meer brauste und tobte, und im Hintergrund stampfte und dröhnte eine Maschine, so dass ich die beiden Geräusche im Geiste verquickte und mir vorstellte, das sei der Motor, der die Insel in Gang hielte. So lange, bis plötzlich der Maschinenlärm verstummte und nur noch das klare, reinigende Rauschen der Meeresbrandung übrig war. Es hallte interessanterweise von Küstenabschnitt zu Küstenabschnitt von rechts nach links wider, so dass jede Welle eine Kaskade von graduell leiser werdenden Geräuschen auslöste.
Von Zeit zu Zeit türmten sich die Wogen plötzlich sehr viel aggressiver und höher zu beängstigendem Format auf, die mit großem Radau auf den bereits ganz feingemahlenen Sand krachten, als wollten sie ihn zu Staub verarbeiten. Es waren immer drei nacheinander, dann tat das Meer wieder handzahm und lächelte mit täuschend harmlos-zahnloser Miene.
Ich begab mich schließlich, schon leicht angekokelt von der ungewohnten Sonnenglut, an den Rand der Schaumkronen, noch außerhalb des angefluteten Bereichs, da beschloss das Meer, mich zu begrüßen und seine berühmten drei Brecher noch prächtiger als zuvor aufzufahren. Blitzartig schoss es sogar noch weit hinter mir den Strand hoch. Sofort wurden meine Füße vom Wasser unterminiert, und ich bewegte mich erschrocken ein gutes Stück zur Seite. Da traf schon der nächste Brecher auf und ließ mich spüren, dass unter dem Sand große runde Steine lauerten, überall, der herausgewühlte Sand hatte nur dekorativ oben drüber gelegen.
Und das Meer lechzte danach, diese Steine zu zermalmen. Es ließ mich torkeln und taumeln, nur mit knapper Not entkam ich dem Umfallen. Die nächste Welle erwischte meine Breitseite, und ich muss wohl eine bühnenreife Darbietung abgeliefert haben, um nicht zu stürzen. Die Menschen rundherum hatten mich mit Sorge im Blick, aber ohne sich zu rühren. Gottseidank hatte ich das Geschehen im Vorfeld beobachtet und wusste, nach drei Ausbrüchen war Zeit genug, um zu entkommen. Sobald ich meinen Halt wiedergefunden hatte, gab ich Fersengeld und entzog mich dem Einzugsbereich der Wassereinflutschneise in unnötig weiten Abstand.
Trotz derartiger Wassergewalt gingen durchaus mehrere Personen ins Wasser und schwammen da herum, die Temperatur war auch nicht unangenehm. Mir hatte das Meer aber gezeigt, wer hier der Chef ist, und ich verkroch mich demütig zurück zu meinem Buch in sichere Gefilde. Mit diesen Einbauten im Rücken bin ich halt nur noch sehr schlecht in meinem Ringen um ein labiles Gleichgewicht. Ich bräuchte ein weiteres Standbein (wie mein Ex sagte, als ich entdeckte, dass er sich während unserer Beziehung hundertfach per Internet mit der holden Weiblichkeit anderer Länder in Verbindung gesetzt hatte.)
Was man sieht, wenn man flach auf dem Strand liegt
Zurück auf meiner einsamen Badematte wurde ich dann von einer einzelnen Fliege umgarnt, die einen Narren an meiner frisch erworbenen Salzkruste gefressen hatte und mich sogar während meiner anschließenden Uferpromenadenspaziertour bis schließlich zum Auto hinbegleitete. Ich gönnte mir ein dreikugeliges Eis mit in Deutschland unüblichen Sorten – Mora: Maulbeere (die letzte Kugel ergattert), Turrón: eine spanische Süßigkeit aus Mandeln, ähnlich dem türkischen Honig, und Gofio: Mehl aus geröstetem Getreide, was auf den Kanaren typisch ist.
Allenthalben hört man Deutsche deutscher Spanisch sprechen als ich es wohl selbst in volltrunkenem Zustand täte. Außerdem nervt es schon ein bisschen, wenn man immer alles versteht, was die Leute so alles von sich geben. Einer erklärte in der Schlange beim Eisstand z.B. seiner Begleiterin: wennst Maulbeeren pflückst, siehst aus wie frisch vom Schlachtfeld. Wie frisch vom Schlachtfeld sah dann auch mein Tisch aus mit dem übergelaufenen zu gut eingeschenkten Kaffee und dem völlig unterdimensionierten Becher unter den überbordenden Eismassen, die an der Sonne schneller dahinschmolzen als ich mit Essen nachkommen konnte.
Den Abend verbrachte ich dann noch mit fröhlichen Gesprächen mit der morgen Abreisenden. Den heutigen Tag begannen wir mit dem Hämmern, Klopfen und Pochen eines fleißigen Nachbarn, der begonnen hat, sein Dach zu sanieren. Er schabt und kratzt, ist voller unbremsbarer Energie und betreibt außerdem einen Zementmischer. Schlecht, wenn man meditieren möchte. Dazwischen ertönt der Megaphonruf einer Fischverkäuferin, die mit dem Auto sämtliche Straßen abfährt und alle 50 Meter ihre Ware anpreist. Dazu die Kirchenglocken mit dem bereits beschriebenen Bimbammbamm, das mir nun bereits sehr vertraut klingt. Die Hähne und Taube sind heute eher friedlich.
Das bisherige Hauptereignis war jedoch, dass es uns auch gemeinsam nicht mehr gelang, das Wasser warm zu kriegen. Bisher war es nur ich gewesen, die ständig Pech beim Duschen hatte, sie hatte ja noch warmes Wasser, so dass ich schon langsam davon ausging, dass es irgendwie meine einschüchternde Ausstrahlung sein könnte, die das Heißwasser vor Schreck erkalten ließe.
Aber nachdem wir dann die Nachbarn um Hilfe gebeten hatte, zeigte sich, dass der Boiler zwei dicke Batterien enthält, und die hatten einfach seit Einzug vor ein paar Jahren bis jetzt durchgehalten, wenn auch schon in ziemlich ausgelaufenem Zustand. Zum Glück ist das ja dann heute aufgekommen, sonst hätte ich zähneknirschend drei Monate kalt geduscht mit der Vermutung, man könne halt nix dagegen machen. Bei meiner Freundin in der Türkei gab es ja ein ähnliches Problem, da stellte sich, nachdem ich dort einen Monat nur Eiswasser auf mein Haupt träufeln konnte, erst als ich wieder weg war, heraus, dass es eine Art Lichtschalter im Gang gab, mit dem das Gas zu dem Boiler auf meiner Wohnungsseite angeknipst wurde. Tja.
Irgendwas hat wohl ein Interesse daran, mich abzuhärten. Oder herauszufinden, ob ich mich auf die Hinterfüße stelle. Oder vielleicht ob ich mich lieber auf mich selbst verlasse, oder endlich lerne, öfter um Hilfe zu bitten.
© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.
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