Endlich habe ich heute mal einen Ausflug bis ans südliche Ende der Insel gemacht. Nun habe ich also die eine Seite so ungefähr angeschaut. Die andere Seite wird aber noch mehr Zeit in Anspruch nehmen, weil man ja jeweils erst über die Insel fahren muss und auf der drüberen Seite dann hin oder her nach Nord oder Süd. Mein Weg heute führte mich jedenfalls nach Fuencaliente.
Auf dem Weg dahin über Kurvenstraßen – wie kann es anders sein – aber oftmals mit recht netter Aussicht (und fehlender Leitplanke) kam ich an einem kreisrunden Kirchlein vorbei, der Eremitage der Heiligen Cäcilia. Ich war vorbeigefahren und ein gutes Stück Wegs weiter unten dachte ich mir, ich hätte das aber gern gesehen. Umdrehen konnte ich nicht, nur irgendwo blöd am Rand parken. Also machte ich mich zu Fuß auf, wieder zurückzugehen.
Unterwegs fiel mir auf: was machst du da eigentlich – sonst wärest du bestimmt nicht ausgestiegen, um einen Berg hochzulaufen. Irgendwas in mir hat sich geändert, und ich bin auch fitter als zuvor. Ich musste dann die an dieser Stelle mal vorhandene Leitplanke im Grätschklettermodus hinter mich bringen und auf der anderen Straßenseite den Hügel hinauf. Die Eremitage hatte jedoch leider eindeutig geschlossen. An einer Stelle hatte ein Neugieriger das Fenster zerschmettert und man konnte ein kleines bisschen vom Inneren entdecken. Das kam mir jetzt nicht so absonderlich toll vor. Eigentlich weiß ich nicht, warum ich unbedingt da hochwollte. Manchmal macht das Universum vermutlich Witze mit mir. Oder es wollte mir die Erkenntnis vom Fußweg auftischen.
Heute morgen hatte es auch schon einen blöden Witz mit mir gemacht, denn bisher konnte ich immer schön vor meinem Haus parken, aber der Nachbar hatte mir gesagt, wenn ich an der Stelle parke, wird man mich anzeigen. So dürfe man nicht parken. Gestern war dann noch weniger Platz als sonst und ich habe deshalb mal sicherheitshalber hinter dem Hügel geparkt an einer Stelle, wo keine Markierung am Straßenrand ist und alle mit 2 Rädern auf dem Fußweg standen. Habe ich dann auch gemacht. Heute früh einen Strafzettel über 200 Euro vorgefunden. Wenn ich binnen 20 Tagen bezahle 50% Rabatt. Sehr nett. Sooo preiswert…
Nach dem zweiten Scherz im Laufe des Tages kam dann auch noch der dritte, denn aller guten Dinge sind ja drei. Restaurante Era in einem Ort namens Los Canarios beglückte mich damit. Gerne hätte ich im schönen Garten gesessen, aber Essen gibt es nur innen in der guten Stube. Ich bestellte eine Wasserkressesuppe. Ich stellte mir vor, das sei ein leichtes, wässriges Süppchen mit einer Handvoll Wasserkresse drin schwimmend und vielleicht noch einem Gänseblümchen als Deko. Ich bestellte eine halbe Portion, weil ich danach ein Entrecote schlemmen wollte. Was ich bekam war eine dicke, erbsensuppenartige Pampe mit undefinierbarem sehr saurem Geschmack, einer Konsistenz, dass man den Löffel drin stehen lassen konnte, und Maiskörnern zwischen nicht wirklich erkennbaren zermatschten Körnern oder Hülsenfrüchten oder was auch immer. Ein richtiger Wintereintopf für kalte Tage, so etwas, was man aus dem Schnee heimgekommen vor dem Kamin mit gerösteten Brotwürfeln langsam isst, um wieder warm zu werden. Heute hatte es 20 Grad und alles da draußen ist grün und lebendig und sommerlich.
Das Entrecote sollte dann laut meiner Bestellung ¾ durch sein, war aber de facto maximal halb durch, denn es blutete in die weiße Sauce, was mir den Appetit verschlug. Schade. Ich ließ es dann stehen. Die Wasserkressensuppe blieb nicht ohne Folgen. Also ich tippe auf zehn verschiedene Arten von Hülsenfrüchten.
Damit waren dann aber die drei Dinge abgehakt, und es durfte wieder positiv weitergehen. Ich fand die Salinen, über die ich gerade gelesen hatte, dass dort gestern noch irrsinnig hohe Wellen herrschten. In der Hoffnung, dass dies der Erkundung keine Abbruch tun werde, parkte ich mein Auto und traf direkt auf einen Händler von handgebastelten edelsteingeschmückten Drahttieren, hauptsächlich Spinnen, Krabben, Skorpione, Ameisen. Einen türkisverbrämten interessanten Gecko hatte er auch, dessen Körper aus einer eingetrockneten Avocado bestand, wie er sagte, was aber ganz anders wirkte.
Diesen Händler glaubte ich schon in Tazacorte gesehen zu haben, und als wir ins Gespräch kamen, zeigte sich, dass ich Recht hatte. Dort habe er sein „Büro“. De facto arbeitet er unter freiem Himmel, angesichts des für ihn unerlässlichen Meeres, auf meditative Art täglich an seinen Tierchen, die er dann in Tazacorte am Hafen oder hier bei den Salinen abwechselnd feilbietet. In dieser Umgebung fühlt er sich so richtig daheim. Als Holländer hat es ihn hierher nach vielen vielen Reisen verschlagen, und momentan glaubt er, dass er wohl hier, am schönsten Ort der Welt bleiben wird.
Gerade die unwirtliche Schwärze und für mich eher menschenfeindliche Umgebung des Lavamaterials liegt ihm so, da fühlt er sich ganz heimisch, während ich genau an dieser Stelle so das Gefühl habe, wie wenn zwei Magnete sich abstoßen. Diese hier ebenso wie bei Tazacorte überall alles bedeckende schwarze Kruste zeigt mir eigentlich, dass ich da ein Fremdkörper bin, der da nicht dazwischen gehört. Fatal ist, dass die Lava, die hier so frisch aussieht wie die auf dem 2021 von ihr verschlungenen Ort Todoque schon seit 1971 hier liegt. Der Vulkan Teneguía hat sie ausgewürgt.
Nur ganz wenig Grünzeug, niedrige einfache, sehr resistente Büschel unkrautanmutender Gewächse quälen sich hier durch den Boden. Das ist alles. Ich hatte geglaubt, das müsste viel schneller gehen, bis sich das regeneriert, aber Pustekuchen. Das wird ein Mensch in seinem Leben wohl nicht mitbekommen, dass die Grünkraft hier wieder Oberhand gewinnt. Wow. Und schaurig. Echt schaurig. Ein Gänsehautgefühl! Tja, Thomas‘ Lieblingsort. Täglich schwimmt er 40 Minuten im Meer sagte er, außer jetzt gerade, denn die Wellen sind gerade unglaublich imposant und lebensgefährlich. Nächste Woche sollen sie noch höher werden, kündigt er an.
Was für ihn denn das so Außergewöhnliche an der Insel sei? Das Feeling hier, die Freiheit, die Ruhe, das Sich-jederzeit-zurückziehen-Können, aber wenn man nicht zurückgezogen sein mag, das angenehme Wesen der Leute. In all der Zeit, die er jetzt hier ist, wird ihm nicht langweilig. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir nach fünf Jahren nicht vielleicht doch zu wenig würde. Oder vielleicht bräuchte ich einfach nicht mehr mehr, weil das, was man hier hat, einfach völlig ausreichend ist.
Was mir selbst hier so gefällt, ist dass ich mich sicher, akzeptiert fühle, egal wie ich gerade herumlaufe, sehr frei, völlig unabhängig und vor allem ganz unbeleckt von den miesen Nachrichten aus aller Welt. Hier ist gefühlt so eine Art heile Welt, ein Mikrokosmos unter der Calima-Glocke – wie bei Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer, einer Insel mit zwei Bergen und dem Scheinriesen (vielleicht dem Roque de los Muchachos), der, wenn man näher kommt, immer kleiner wird. So möge es mit allen Problemen sein bitte!
Ich besichtigte dann die Salinen, um die ein netter, flacher Rundweg herumgeht. Es war ausgesprochen interessant, die verschiedenen Verdunstungs- und Kristallisationsphasen in den vielen vielen Becken anzusehen. In Bereichen bestand der Boden aus einer dicken Salzkruste, als wäre es verharschter Schnee. In den Becken nährten sich Algen. Von den roten Algen zehren wiederum Kleinstorganismen, die z.B. Flamingos verzehren und deswegen rosa sind. Verschiedenen Vogelarten ist hier reichlich der Tisch gedeckt. Sie sind wohl in großer Zahl an den Rändern der Becken beim Beuteaufpicken zu beobachten. Ich sah in den Abendstunden allerdings nur einen einzigen Kandidaten, der sich da redlich nährte.
Thomas hatte mir den Tipp gegeben, ganz ans Ende des Geländes zu gehen. Dort ist ein großes Loch im Boden, ein Teufelsloch, aus dem geysirartig wie auf Island das Meer in Abständen in einer riesengroßen Fontäne hervorbricht. Aus der Ferne konnte ich die Fontäne sehr gut beobachten, jedoch vor Ort lauerte ich mit dem Auslöser im Anschlag lange und vergeblich. Dann fragte eine Spanierin mich, ob sie ein Foto von mir machen sollte, und sobald ich dem Geysir den Rücken zugewandt hatte, explodierte er wirklich mit voller Gewalt und ich wurde total durchnässt. Das war richtig lustig. Wir konnten den Effekt dann reproduzieren, als sie ewig wartete, ihrerseits etwas aufzunehmen, und erst als ihr Mann sich dann umdrehte und zurückkam, wähnte sich der Geysir wieder unbeobachtet und griff hinterrücks an. Selber Effekt.
Im Restaurant vor dem Sonnenuntergang bekam ich dann, weil es sofort wieder kalt wurde, einen sauberen Niesanfall über meinem Barraquito. Der Andenkenshop war nicht sonderlich salzlastig, sondern beinhaltete sogenannte Kunst aus verschiedenen Teilen der Insel, ohne die man auch ganz gut leben kann.
Auf jeden Fall war dieser Ausflug es heute mal wirklich wert, gemacht zu werden. Ich hatte noch gelesen, am Interessantesten sei es bei Sonnenuntergang und hatte so blauäugig vermutet, da sei ich schon längst wieder weg, aber tatsächlich fuhr ich im Stockfinsteren wieder nach Hause. Ein schöner Tag, alles in allem!
© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.
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