Das Meer weiß nicht, was es will

Meerglasfischerin

Wieder mal ist das Meer ganz verstört, aufgeschreckt durch die Wasserfluten, die nachts den Himmel verlassen haben, während Tazacorte friedlich schlummerte. Da klopfte es nicht nur auf mein Dach und an mein Fenster ohn‘ Unterlass, sondern da wurde auch das selbstreinigende Meer von oben heftigst geduscht und zieht nun ziellos mit seinen Wellenkämmen in jegliche Richtung, ganz ohne Exerzierordnung und Eleganz. Die im Sonnenlicht silbern schimmernden Wogen weit draußen leuchten zu mir herüber und zeugen von der Verwirrung dieses kleinen Zipfels des großen Ozeantuchs hier vor meiner palmerischen Haustür. Dabei weiß das Meer doch gar nichts vom Weltgeschehen. Es spiegelt das Durcheinander, das gerade herrscht jedoch auf seine unnachahmliche Art und hat wie auch wir Menschen im Moment keine genaue Vorstellung davon, wie es jetzt weitergehen wird.

Die Wassermassen standen heute Nacht wieder bedrohlich auf dem Balkon, so dass ich sicherheitshalber meine Zeichenmappe, die ich mir angelegt habe, und alles was sonst noch nass werden könnte, in luftigen Höhen platziert habe. In der Nacht dann knallte die Terrassentür und ich sprang aus dem Bett, denn ich dachte, so, jetzt ist es soweit, das Wasser kommt herein, aber es war zum Glück blinder Alarm. Heute früh haben sich die Wässer verzogen und die Sonne saugt dran, um auch alles wieder trockenzumachen. Die Pflanzen brauche ich so schnell nicht wieder gießen, höchstens den Übertopf auskippen.

Sauber geworden ist der Boden nicht, denn jetzt ist alles richtig schön verteilt und ich muss mich dran machen, hier Ordnung zu schaffen.

In meinem Inneren habe ich heute auch schon Ordnung geschaffen, denn das Wetter sah echt unerfreulich aus, so dass ich beschloss, nicht mal das Bananenmuseum, das um 14 Uhr schließt, müsse heute sein. Stattdessen habe ich eine Psychedelic Breath Session mitgemacht, die über eine Stunde dauerte. Wow, das war wirklich krass! In acht Durchgängen wurde man an eine selbstinduzierte Trance herangeführt. Diese wurde erreicht, indem man in den einzelnen Sätzen viele Minuten lang eine Art Hechelatmung durchführte. Also so wie auf 1 ruckartig durch die Nase einatmen und auf 2 stoßartig durch den Mund ausatmen. Und zwar in der rasenden Geschwindigkeit, wie man 1, 2 nacheinander sagt. Durch das Hyperventilieren kommt man dann in diesen speziellen Bewusstseinszustand.

Nach jedem Set kam dann eine Pause, in der man ausatmete und sehr lange keine Luft mehr nachholte. Für mich war die Pause des Nicht-Atmens gefühlt noch viel zu kurz, ich hätte gerne länger ohne Atem da gelegen. Sauerstoff hatte man ja noch wirklich genug von vorher. Mit der Zeit fing der ganze Körper an zu pulsieren und sich gefühlt, wenn auch nicht de facto, algengleich zu bewegen. Ich war wie in einer Unterwasserwelt mit einer kristallklaren Brillanz und Sehschärfe mit mindestens dreifacher Pixelzahl als die, mit der ich sonst sehe. Da sah ich in diesem Raum gelbe und blaue Farben wie Ölflecken auf Pfützen irisierend schillern und fühlte den Raum an- und abschwellen. Meine Hände wurden schwer und pflaumig, sie fühlten anders als zuvor, so als würde ich durch Obst hindurch die Umwelt be-greifen. Das war in dem Fall nur meine Matratze.

Es stellte in mir die Frage, was meine Aufgabe in dieser Welt eigentlich sei, und die Antwort, die der Trancezustand mir verschaffte, erfolgte in Bildern. Der Boden des Bereichs, in dem ich da unter Wasser unterwegs war, war mit vielen vielen grauen Kieseln wie das Flussbett der Isar bedeckt. Darunter lag, wie sich dann zeigte, eine Kohleschicht, die vermutlich mein Nacht-Hyde, der immer so irre Geschichten kreiert, ist, und durch den alles gefiltert wird, so dass ein vollkommen pures, schadstoff- und mikroorganismenfreies Wasser die darunter liegenden Ebene kennzeichnet. Erstaunlicherweise war es da trotz der Kohledeckschicht ganz hell, und es glitzerten und glänzten Tausende von bunt gefärbten Glassteinen am Boden, vielleicht waren es auch Edelsteine, aber sie waren sehr bonbonfarben, manche auch wie Muranoglas mehrfarbig mit konzentrischen Ringen. Meine Aufgabe sei es, diese erstaunlichen Schätze, von denen keiner weiß, dass sie da lagern, nach oben zu bringen und sie auszustellen, vorzuzeigen, allen zugänglich zu machen.

Ein Sonnenfänger, den ich mit Glassteinen gemacht habe vor hellem und dunklem Hintergrund, ein KI-Konterfei, das angeblich mich zeigt, ein Knopfbild, das ich gemacht habe und ein Bild, das ich gezeichnet habe, mit der hellen und der dunklen Seite
Ein Sonnenfänger, den ich mit Glassteinen gemacht habe vor hellem und dunklem Hintergrund (er leuchtet in beiden Fällen), ein KI-Konterfei, das angeblich mich zeigt (aber in echt nur meine Jekylline-Seite), ein Knopfbild, das ich gemacht habe und ein Bild, das ich gezeichnet habe, mit der hellen und der dunklen Seite meines Wesens

Auf meine Frage, wie ich das machen sollte, kam dann die Vorstellung, wie das, was ich unter meinen pflaumigen Fingern betastete, das Fleisch der Menschen sei, mit denen ich zu tun hatte. Es sei z.B. Wissen, das von Fleisch und Blut in meinem Umfeld erhältlich sei, aber das diejenigen selbst nicht zur Kenntnis nehmen und selbst gar nicht wissen, was für Schätze in ihnen verborgen liegen, während meine Fingerspitzen diese kleinen Preziosen entdecken und bergen können.

Wieder war mir nicht klar, was ich mit dieser Erkenntnis anfangen sollte, und wie denn das vermittelbar sei, auf was ich da stieße, und so zeigte es mir, mein Blut sei nicht normal rot, sondern purpur (sagen wir mal wie die Farbe der Bananenblüte von gestern). Ein solch dicker Saft schwamm dann hier in einem riesigen viereckigen Glastank und ich wurde angewiesen, diese Tinte, mein Herzblut zu nehmen und zu schreiben, mit dem purpur auf schwarzem Grund. Vielleicht mit Jekylline oder Schnipselhumor auf Hydeuntergrund? Jedenfalls schrieb ich schwungvoll und schnörkelig mit einem altmodischen Füller, und jedes Glasnugget, das ich beschrieb, wurde Wort.

Nun könnt Ihr Euch mal überlegen, welche Art von Erkenntnis wohl von mir in der Welt verbreitet werden sollte. Vielleicht ist es ja auch nur genau das, was ich täglich mache – ein kleiner Einblick in meine Farb- und Freudenwelt mit einem Touch von hyde’scher Hintersinnigkeit. Ob dadurch die Welt wirklich besser wird, weiß ich nicht, aber vielleicht ist ein kleiner Ausflug in die Gehirnwindungen eines anderen ja entspannend genug, um ein paar Menschen einen Hauch von Entspannung und Abstand vom eigenen Alltag zu geben. Ich muss jetzt mal überlegen, ob ich den Blog umstellen kann auf purpurne Schrift auf schwarzem Hintergrund, fürchte aber, das wäre schwierig zu lesen.

Inzwischen ist es wieder wärmer geworden und es gäbe keinen Grund mehr, den Tag zu Hause zu verbringen, aber ich möchte mich noch auf mein Schreibworkshopfinale heute Abend vorbereiten und meine während der acht Wochen entstandenen Schreibergüsse durchlesen, also heute eher keine größeren Ausflüge mehr. Ihr seid also für heute huldvoll entlassen. Gehabt Euch wohl!

© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

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  1. Gudrun Kardasz

    Der Text gefällt mir, wie nahezu alle sehr gut.

    • Manuela Hoffmann-Maleki

      Oh danke, und dabei steht heute fast nichts von der Insel drin!

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