Puh, heute war ein anstrengender Tag! Sehr schön, aber für mich außergewöhnlich fordernd. Leon, der Zeichenlehrer ist nämlich für alle möglichen Überraschungen gut. Die heutige bestand darin, dass ich wohl eher flüchtig gelesen habe, was auf dem Programm stand und dann auch dachte, das wird nicht weit weg sein, und man kann mit dem Auto hinfahren. Ich trat also blauäugig in meinem grünen Sommerkleid an. Als ich vor dem Wegfahren in den Kofferraum schaute, fiel mir auf, dass mein Mantel nicht da drin war, und auch die warme Jacke nicht, die ich am Abend immer brauche, wenn Spaghettiträger nicht mehr ausreichen, aber da mir nicht bewusst war, was heute bevorsteht, nickte ich nur zufrieden mit mir selbst, dass ich wenigstens die Turnschuhe und eine dünne Jacke da liegen sah. Wieder zur Wohnung hoch wollte ich nicht nochmal, der steile Weg nach oben ist nicht so mein Ding, und ich wollte auch rechtzeitig da sein.
Ich sollte mich mit Leon in Los Llanos treffen. Da stand er auch schon mit seinem Auto. Ich dachte, ich fahr einfach hinterher, aber dann überlegte er erstmal, wie man das am besten handeln könne. Die eine ginge zu Fuß hin und wäre schon dort, wohne da, die andere komme noch. Da war Gerdi auch schon mit ihrem Auto und freute sich, dass ich auch dabei war. Ob wir zwei Autos da parken und mit einem fahren? Ach was, wir fahren bis zu dem Parkplatz da, und danach sehen wir weiter. Ich hab mir nichts Böses dabei gedacht.
„Der Parkplatz da“ war aber nicht gerade in nächster Nähe, wir verließen den Ort, kletterten Serpentinen hoch, kamen am Restaurant Balcón del Taburiente vorbei, wo ich meine erste Begegnung mit den Bergen hatte, und da waren wir auch noch längst nicht da. Der Konvoi zog sich noch ein gutes Stück weiter, bis ein Flussbett uns stoppte. Da mussten wir rückwärts bis zu einem Parkplatz fahren, denn hier konnte keines unserer Autos durch.
Wie sich zeigte, musste man von da an zu Fuß gehen. Ach ja, in dem Flussbett entlang. Ein bisschen Wasser floss da, nicht viel, das meiste waren große Steine. Schon mal genug Quälmöglichkeiten für meinen Fersensporn. Tja, und dann mussten wir da den Berg hoch. Da oben, ein gutes Stück entfernt, sei das Haus, wo wir hinmüssen. Ich schluckte schwer. Es gäbe noch die Option, sich abholen zu lassen, die Alison habe ein Auto, mit dem sie durch das Flussbett fahren könne. Äh ja, das wäre dann mal Recht! Ruf sie doch an. Aber Gerdi sagte, sie ginge so gern zu Fuß. Mit zwei Nordic.Walking-Stecken machte sie sich sofort auf den Weg.
Da blieb mir irgendwie nichts anderes übrig, als auch zu sagen, „OK, ich werde es probieren!“ Meine Kleidung erwies sich als in höchstem Maße unzureichend. Ich hatte zum Glück noch eine dünne Leggings dabei, die ich anzog, ein dünnes Shirt mit langen Ärmeln und die dünne Jacke. Im Zwiebellook dackelte ich los, während Leon frohgemut auch noch einen großen Rucksack mit sämtlichem Malzubehör schleppte. Ihm machte das alles gar nichts aus. Und der tapferen Gerdi, die auch eine Gehbehinderung hat, machte es auch nichts. Sie erzählte auch, dass sie sogar eine Himalayatour gemacht habe. Trotz der Behinderung. Wow! Hut ab!
Ich denke, ich habe das Gehtempo ziemlich gedrosselt, aber tatsächlich kam ich unbeschadet oben an, sehr stolz auf meine Leistung, die ich bis gestern nicht für möglich gehalten hätte. Heute habe ich festgestellt, dass das Bergaufgehen mit Turnschuhen statt den üblichen Schläppchen einigermaßen gut geht und mein Problem tatsächlich jetzt nicht so sehr die Steigung ist, sofern ich oft genug stehen bleiben darf, sondern Treppenstufen. Aufwärts gab es aber nach dem Flussbett eine Rampe, in dem nur in der Mitte eine Art von winzigschmaler Hexentreppe hochging. Und die musste ich jetzt nicht gehen.
Oben bekamen wir dann einen Tee kredenzt. Die englisch sprechende Alison vermietet Zimmer an verschiedene Leute, die lieber herumkraxeln als ich und begeistert sind, in so einer Lage wohnen zu können. Die Aussicht dort ist großartig, das muss ich zugeben! Die hat man am Strand nicht. Überall sattes Grün, Bananenplantage, Bäume noch und nöcher und Berge rundherum.
Dann machten wir uns an die Arbeit, wir waren ja nicht zum Spaß hier. Sondern, wie bei Leon üblich: zum Spaß. Eine Farbe auf ein Aquarellpapier, weitergeben, Pinsel in die andere Richtung weitergeben, die neue Farbe vom Nachbarspinsel aufs Blatt und so weiter. Wir hatten dann vier verschiedene Farben auf den Bildern, und danach ging es noch ein paar Runden so weiter, wodurch die Bilder sich immer stärker unterschieden und jeder so langsam einen Favoriten bekam. Irgendwann durfte man dann eines der Bilder so weiterbearbeiten, wie man es für gut hielt und es behalten. Es war schon interessant, wie sehr sie da bereits in der Gestaltung auseinanderdrifteten, aber doch jedes die Handschrift von jedem von uns trug.
Als nächstes machten wir eine Übung mit Farbpigmenten auf nassem Untergrund. Das Wasser am besten gleich mit der Hand draufklatschen. OK, sowas hatte ich noch nicht gelernt, aber muss schon sagen, das geht viel schneller und funktioniert gut. Dann nutzten wir nur zwei Farben, die wir mit einem Stäbchen auf das Blatt strichen: blau und gelb. Die Farben ließen wir solange verlaufen, bis sich eine wunderschönes grünes Wunder in diversesten Schattierungen zeigte.
Wir bekamen ein herrlich-buntes und megaleckeres Mittagessen, das Alison für uns gezaubert hatte. Es waren ganz viele essbare Blüten im Salat, auf einem Blech gab es eine Süßkartoffelquiche, und Guacamole sowie Brot wurde ebenfalls angeboten. Eine zweite Portion musste da schon sein! Dazu gab es Gurkenwasser. Falls Ihr die Serie Better Call Saul gesehen habt, kennt Ihr das Gurkenwasser, das es nur für die Kunden des Nagelstudios gibt, ganz gut. Und Saul versucht als Running Gag jedes Mal, eines zu erschnorren. Wir mussten nicht schnorren, wir durften.
Die nächste Übung war schon schwerer, wir sollten eine Aussicht von der Terrasse aus festhalten. Ich habe festgestellt, dass das absolut nicht mein Ding ist – die anderen hatten aber auch Schwierigkeiten damit. In mehreren Arbeitsgängen war dann wenigstens Gerdis Bild so geworden, dass sie sich über sich selbst freuen durfte. Mir gab Leon den guten Tipp, mein Licht nicht vor mir selbst unter den Scheffel zu stellen, indem ich sagte, ich habe an dem Bild nochmal „herumgemurkst“. Ja, er hat Recht. Wenn ich selber zu mir sagen würde, ich habe „fleißig daran gearbeitet“, könnte ich es vielleicht auch selber besser würdigen, dass ich es mehrfach verbessern konnte. Dass es trotzdem nicht dem entspricht, was ich für gut befände, ist dann halt dennoch schade. Aber vielleicht kann ich dann wenigstens den Fortschritt in meinem Tun anerkennen.
Dafür kam ich später auf eine Idee, die mir Spaß machte und gut gelang. Gerdi hatte ihr – wie sie meinte – nicht so schön bearbeitetes buntes Bild aus der ersten Runde mir vermacht. Und ich habe aus der Bananenplantage ein Stück Bananenblatt geholt und einfach draufgeklebt. Mit Farbe an ein paar Stellen eingefärbt, und schwuppdiwupp war die ungeliebte Stelle zu einem Highlight geworden. Das Blatt mit seiner wunderbaren Struktur stellte eine feine Brücke zwischen den verschiedenen Bereichen im Blatt dar, die in unterschiedlichen Macharten auseinanderdrängten und sich die Gunst des Betrachters so streitig machten, dass er es möglicherweise als unharmonisch empfinden könnte.
Auf ein weiteres Bild mit nur zwei Farben stempelte ich gleich schwarze Farbe mit so einem Bananenblattstückchen. Das hatte einen Effekt, als seien Musiknoten im Bild gelandet. Auch eine gute Idee, die mir sehr gefiel. Alison gab mir dann noch ein paar weitere Materialien mit – getrocknete Kaktusrippen und ein altes Yukkablatt. Damit lässt sich noch einiges anstellen. Schlimmstenfalls kann ich Mosaik drauf machen, haha.
Nach diesen Stunden an einem gänzlich unerwarteten Ort, wo ich bestimmt nie hingegangen wäre, wenn ich gewusst hätte, dass ich da hochsteigen muss, ging es dann wieder an den Abstieg. Das war anfangs nicht unbedingt einfacher, denn die Rampe musste von mir abwärts auf der Hexentreppe gegangen werden, sonst wäre sie mir zu steil gewesen. Aber das Flussbett stellte dann für mich keinen Schrecken mehr dar. Ich wusste ja, was mich erwartet, und wie weit es ist. Bzw. ich war sogar überrascht, als wir schon am Parkplatz ankamen. Dort trafen wir dann ein junges Mädchen mit einem schweren Rollenkoffer, das zu Alisons Unterkunft hinaufwollte. Das würde nicht einfach werden!
Für morgen haben wir ja einen weiteren Aquarellkurs. Der soll in einem Café in Los Llanos starten. Ich hoffe, es entwickelt sich kein Marathonlauf daraus oder sonst etwas Unvorhergesehenes. Jedenfalls habe ich derjenigen Kursteilnehmerin, die oben auf der Hütte wohnt (Jarka), angeboten, die Silvesternacht bei mir zu übernachten, denn ansonsten kommt sie im Dunkeln durch das Flussbett nicht wieder nach oben. Ich werde berichten, was morgen geschieht. Könnte aber später werden.
© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.
Silke feyerabend
Ich habe von Gerdi deinen Bericht bekommen und freue mich für euch!!! Die Hütte von Alison kenne ich aus den unterkunftsangeboten. Georg hatte leider gleich abgewinkt. Gruß Silke
Manuela Hoffmann-Maleki
Es ist wirklich wunderschön da oben, aber der Aufstieg hat es schon ordentlich in sich…