Wie die Windsbraut mich verkrümelte

Der heutige Tag ist ein bisschen anders. Heute hat eine fiese Windsbraut die Insel am Wickel. Sie beutelt sie und lässt überall Sand hinbröseln. Mein Laptop ist in Nullkommanix eingestaubt, und selbst meine Handyhülle hinterlässt beim Abwischen einen scheußlichen schwarzen Schatten auf dem fröhlich bunten Microfasertuch. Die Terrasse ist mit Erde bedeckt oder vielleicht Vulkanstaub oder Küstensand – Wüstensand ist das eher nicht, denn er ist ganz schwarz.

In der Nacht hat es außerdem eine der Riesenstrelitzien mit einem Gewicht von mindestens einem sechsjährigen Kind umgehauen, und ich hatte Mühe, den Topf wiederaufzurichten und in seinen Übertopf einzupassen. Die ohnehin sehr zerfledderte Markise flattert spektakulär im Wind und lässt unregelmäßig klappernde Geräusche ertönen, so als schlüge wer mit einem Schlüsselbund rhythmusresistent an eine Regenrinne. Irgendwo knallt eine Tür ständig zu, immer und immer wieder, aber in dieser Wohnung ist es jedenfalls nicht.

Spuren der Calima - Erde auf meiner Terrasse und schwarzer Staub von meinem Handy auf einem Putzlappen

Die Windsbraut denkt lange gar nicht dran, sich zu verkrümeln. Sie verkrümelt lieber mich. Ich ziehe die Konsequenzen und bleibe drinnen. Gestern hat man mir außerdem geraten, wenn es so windig ist, nicht Auto zu fahren. Wer weiß, sonst fegt es mich noch aus den Serpentinen, ohne die man hier ja nirgends hinkommt. Ich bin also ganz brav heute.

Samenkapseln einer Pflanze auf der Terrasse

Ein sehr seltener Gast, ein abgespaltener, wenig beachteter Bestandteil meines Wesens zeigt sich heute: Die Doña Clementine. So eine, wie die mit dem Geschirrspülmittel. Ihres Zeichens putzwütig, gutmütig, treudoof und häuslich. Ein flotter Feger. Sie hilft mir, die Waschbecken zu wienern, den Boden zu kehren, dem Staub den Feudel um die Ohren zu hauen, um dann festzustellen: der Dreck wächst stetig nach. Kaum entfernt, ist er wieder da auf der Terrasse. Doña Clementine verlegt sich also wieder auf die Reinigung der Innengemächer. Etliche Blumengrüße sind nun bereits so verdörrt, dass sie nur noch ein trauriges Mahnmal des Zerfalls sind. Beim Forttragen schaffen sie mir weitere Arbeit – nun ist der Boden mit Blütenblättern bestreut. Das wäre schön bei einem Honeymoon, aber dann lieber auf dem Bett.

Ein Bild in der Wohnung mit einem roten, vulkanausbruchartigen Lodern und darunter die verwelkenden Pflanzen in einer Blumenvase, dekoriert mit Zauberstab

À propos Honeymoon… Ich überlege, dass dieser Wesensanteil, der sich da heute breit macht, die perfekte ehefähige Hausfrau mit liebevollem Augenmerk für häusliche Belange und wahrscheinlich großartigen Qualitäten als Familienköchin abgäbe – einen Flitterfeger! Also schnell, ihr männlichen Leser, heute ist der Tag! Aber nur heute. Schnell gefreit und dann ewig bereut, denn ab morgen ziehe ich wieder andere Seiden auf äh an, dann ist nix mehr mit Putzfrauenlook (Unterhemd und Bikinihose, da es richtig heiß ist), dann flattert hier wieder ein Paradiesvogel durch die Gänge, der sich als haushaltsbereichernde, windsbraut-katalysierte Winzbraut (1650 mm) nicht mehr eignet, sondern eigensinnig und un-unterkriegbar männlichem Herrschaftsgebaren trotzt.

Schon erlahmen die Anstrengungen der Doña Clementine, denn der Wind schickt sich an, den Weg allen Windes zu gehen, also zu entfleuchen, wodurch die Hitze noch ein paar Grad zunimmt, und der Staub vielleicht drunten auf der Straße gelandet ist und nicht mehr in meinen Höhen auf den Terrassen herumwirbelt. Der Horizont ist heute verschwunden. Ich denke, das ist jetzt also die viel beschriene unerfreuliche Calima, die die Kanaren so gerne am Wickel hat. Ich stelle eine weitere Seltsamkeit fest: meine Haut ist heute völlig ausgetrocknet, so wie die Brösel, die hier herumfliegen. Das ist ja direkt zum Haaröl-Saufen! Da wäre man wenigstens von innen in jeglicher Weise wieder elastisch hergestellt.

Was habe ich heute sonst noch geschafft? Ich hab mich ein bissel ausgeruht, dem Namen meiner Webseite keine große Ehre gemacht – von Tour ist heute nicht die Rede. Ich sammle einfach Kräfte für die nächsten Ausfahrten. Habe ein wenig in dem bislang ziemlich langweiligen Roman mit dem Titel „Tazacorte“, also dem Namen dieser Ortschaft hier, gelesen.

Dann in längeren ruhigen Minuten beim Papayaschmaus das wundervolle, gestern erstandene Drachenbuch begutachtet, die liebevoll eingeklebten Drachen und Täschchen mit Drachenfüllung aller Art bestaunt, mir ein Drachenkartenorakel gelegt und dabei festgestellt, dass die Anleitung nur in Teilen zu den vorhandenen Karten passt, bzw. weniger Karten vorhanden sind als beschrieben, dafür ein paar doppelt. Vielleicht sind die ja für mich von besonderer Bedeutung. Der Wasserdrache und der Feuerdrache.

Mein Wohlfühlplatz zwischen vielen Pflanzen auf der Terrasse mit dem Drachenbuch, dem Tazacorte-Buch und Papayaschnipseln

Das Wasser hat ja für mich schon immer eine besondere Bedeutung, denn in einem meiner letzten Leben war ich vielleicht Delfin. Jedenfalls fühle ich mich nirgends so wohl wie im Wasser. Was mit zunehmender Körperfülle auch verständlich sein dürfte. Sobald ich das Wasser verlasse, zieht es mich wieder irdisch schwer zu Boden, wo ich doch gerade noch leicht wie eine Feder war. Und mich so gesund fühlte, als wäre gar nix. Im Wasser bin ich stets wieder ganz.

Der Feuerdrache könnte auch ein Lichtdrache sein. Er sitzt vor rotglühenden Kristallen. Vielleicht ist es ein Wärmedrache, der sich am Kaminfeuerchen für Drächinnen wohlig-lasziv räkelt. Auf seinem Eisbärfell. Falls Drachen und Eisbären jemals gleichzeitig auf der Erde existierten. Bei Eisbären bin ich da nicht ganz so skeptisch.

Dennoch – die Vorstellung, dass man eine gutmütigen Hausdrächin haben könnte, mit der man durch die Lüfte flöge (was bequemer wäre als der olle Besen-bist-schon-lange-Knecht-Gewesen), hat doch was! Und die einen in bester Hofhundmanier verteidigen würde vor aller Unbill, bösen Avancen und frechen Worten. Einmal kurz das Mäulchen auf und bissel Feuer gespuckt und weggeschmurzelt ist alles, was einen anfocht… Nicht übel! Die Drächin macht das natürlich selbsttätig. Sonst wäre ich ja ein Unmensch. Aber wenn die Gute (gutschigutschigu… bift eine Liiiiebe, jaaaa, fooooo if braaaav!) zum Untier wird, kann ich doch nichts dafür, oder? Schließlich zahl ich dann als gute Bürgerin ja pünktlich meine Drachensteuer, wie es sich gehört.

Das Drachenbuch und die Drachenkarten

© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

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Mancher Tage Abend

  1. Gudrun

    Erstaunlich, wie Du aus einem Tag ‘zu Hause’ eine interessante Geschichte gemacht hast.

    • Manuela Hoffmann-Maleki

      Nichts ist zu klein, um nicht noch breiter auswalzbar zu sein, hihi. Aber oft sind es eben auch ganz kleine Erlebnisse, die den Geist auf Höhenflüge schicken.

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