Die letzten zwei Wochen waren für mich sehr aufreibend. Zum einen habe ich meine alte Küche entsorgen müssen, damit die neue hineinkonnte. Verschiedenste Termine waren deswegen zu korrelieren, Handwerker waren mehrfach da, die Küche wurde geliefert, war aber nicht ganz so, wie ich wollte, ich musste reklamieren, wurde abgeschmettert, musste militant werden…
Zum anderen hatte ich mich vorzubereiten auf meine große Reise nach La Palma. Zwei Wochen kann ja jeder, aber weil bei mir immer alles anders sein muss als bei Normalsterblichen, sind es bei mir halt gleich drei Monate. Und da verlor ich letztens dann irgendwie fast den Mut. Was hatte ich mir denn da dabei gedacht? Drei Monate mutterseelenallein auf einer Insel unter einem bekannterweise unfreundlichen Vulkan, der 2021 erst größte Verwüstungen verursacht hat!
Und Zuhause sitzt dann mein Partner und muss erdulden, dass er einfach drei Monate viel zu viel Zeit für alles hat. Hinzu kommt, dass wir, wenn wir uns nur schreiben – wie das ja in den drei Monaten hauptsächlich der Fall sein wird – öfter mal irgendwelche Smileys vergessen, (besonders ich), und dann versteht der andere nicht, dass die vermeintlich freche Bemerkung eigentlich nur flapsig-fröhlich und gar nicht ernst gemeint ist… Dabei meinen wir eigentlich eher wenig total bierernst, wenn wir nebeneinandersitzen und miteinander reden. Im Gegenteil, das ist ja das Herrliche an unserer Beziehung, dass wir beide dann so total unernst sind und so wunderbar rumblödeln können! Naja, Exkurs Ende.
Jedenfalls hab ich schon ordentlich Bammel bekommen, ob das wirklich so eine clevere Entscheidung war, da als bezahlende Haussitterin über so lange Zeit zuzusagen. Aber: wat mut, dat mut. Ich hatte ja gesagt, also wird es auch durchgezogen. Ich bin ja sonst auch abenteuerlustig bis leichtsinnig, reise furchtbar gern (wenn ich mich mal von Zuhause losgeeist habe), liebe es, neue Speisen, Blickwinkel, Naturschönheiten und kulturelle Errungenschaften kennenzulernen.
Menschen fehlen in der Aufzählung absichtlich, denn ich bin ungeschickt im Ansprechen von Menschen, durch meine Prosopagnosie (Gesichtsblindheit) dran gewöhnt, dass Begegnungen mit Fremden zwar einmal gut gehen, aber beim zweiten Mal werde ich als arrogante Ziege abgestempelt, weil ich die Person nicht mehr erkenne. Also habe ich das von jeher auf Minimum gehalten, mich in Gesellschaft anderer Menschen stürzen zu wollen. Zweiter Exkurs Ende.
Ich merke, ich neige auch hier zum Prokrastinieren. Immer noch. Um nicht meinen Koffer packen zu müssen, habe ich auch zu bewährten Methoden gegriffen wie endlich mal die verhassten bürokratischen Themen mit ausgetüftelten Beschwerdetexten anzugehen, um meine Rechte bei Institutionen einzuklagen, z.B. einer Versicherung, die mich nicht aus dem Vertrag entlassen wollte, Steuerbelege zu sortieren und abzuheften, ja sogar, die Steuererklärung von 2023 zu erledigen, Schubladen auszumisten, die genauso gut weitere 20 Jahre hätten warten können, Fotos zu bearbeiten usw.
Wenn es darum geht, auf den Weg zu kommen, brauche ich nämlich unendlich lang. Schon allein, wenn ich von Ingolstadt nach München pendle und dann nach einer Woche wieder zurück, schaffe ich es kaum, in die Puschen zu kommen. Ich fahre dann immer erst los, wenn es dunkel wird, weil ich den ganzen Tag so viele andere Dinge zu tun gefunden habe, die ganz plötzlich noch uuuuunbedingt nötig geworden waren.
Aber wenn ich dann unterwegs bin, ist es gut. Unterwegs sein ist herrlich, sofern man selber dafür verantwortlich ist: Die richtige U-Bahn nehmen, mit dem Auto rumfahren. Aber nicht: im Flugzeug sitzen. Ich habe nämlich Angst vorm Fliegen, das geht auch nie wirklich weg. Genauer gesagt, habe ich Angst vor dem Losfliegen. Aber auch hier: wenn das Ding in der Luft ist, ist alles in Ordnung. Dann bin ich wieder völlig normal. Lese, schlafe, fotografiere, esse und kaufe irgendwas vom Bordshop, das ich nicht wirklich brauche. Diesmal ein Parfum.
Nun haben wir es dann also am Abreisetag doch geschafft, pünktlich loszufahren. So früh aufzustehen ist für mich eine Tortur. Aber in allerseltensten Fällen muss es sein, und dann bin ich nicht mal missgelaunt, nur nicht ganz da… Da lege ich vielleicht mein Handy geistesabwesend in den Kühlschrank, um es dann verzweifelt zu suchen. Wir fuhren im Dunkeln zum Flughafen, und ich hab endlich mal wieder einen Sonnenaufgang beobachten können. Alles hat sein Gutes!
Mein Übergepäck habe ich so klammheimlich abgeben können, dass keiner was bemerkt hat und überhaupt war das Personal am Flughafen herausragend liebenswürdig zu mir. Ein Angestellter hat mir sogar einen Geheimtipp gegeben, wie ich die Schlange überspringen kann („Von mir haben Sie das aber nicht!“) – alles lief perfekt glatt.
Und dann… Dann kam der schreckliche Moment, in dem ich mich lösen musste. Nach meiner Vorstellung ist es ja unglaublich, dass mein Partner da einfach 4146 km (64 Stunden zu Fuß für extremsportliche Schwimmer) von mir wegbleibt. Wie kann der mir das antun? Wie soll ich ohne ihn auskommen die ganze lange Zeit? Aber nein, er muss ja unbedingt zuhause bleiben! Und noch schlimmer: ich weiß ja natürlich ganz genau, dass tatsächlich ich die Böse bin. Ich bin es, die von ihm erwartet, da gute Miene zum üblen Spiel zu machen. Das kann ich jetzt echt nicht auf ihn schieben. Selbst wenn ich wollte.
Manu lebt ihren Fluchtreflex aus, und mein Allerliebster muss es schlucken. Aber er war es ja, der mir zugeraten hat, die Reise zu machen, als ich das Angebot bekam: „Das ist doch genau, was du brauchst. Wenn es dich so ruft, dann mach!“ Und ich – brav und gehorsam – mache dann halt. So kann man es drehen. Oder wohl verdrehen. Ich hätte nicht müssen. Aber ich hab wollen. Mea culpa. „Du hast es dir selber eingebrockt“, sagt er nun völlig empathielos, während ich leise in sein Kopfkissen heule. Er habe da schon einen Haken dran gemacht. (Ist halt so, wenn man Manu im Leben hat. Andere haben zum Beispiel ein Atomkraftwerk nebenan. Das ist eigentlich ein guter Vergleich. Zu seiner Ehrenrettung: dieser Vergleich stammt von mir. Und es handelt sich hier nicht um seine wörtliche Rede.)
Aber jetzt bin ich wirklich und wahrhaftig hier. Und in diesem Moment tut es mir auch überhaupt nicht leid. Ich blicke über drei Bananenstauden in Töpfen über den Terrassenrand aufs Meer, die Sonne scheint, eine Kirchenglocke tönt etwas ungewohnt Bimbammbamm Bimbammbamm Bimbammbamm direkt unter mir, und das Meer rauscht wie in einer Muschel am Ohr ganz laut hier herauf. Die Palmen bewegen sich sanft in einer milden Brise, und in der Ferne kläfft ein Hund. Das ist alles. Friedlich, schön, warm. Vor allem warm! Ich grüße ein bisschen mitleidig ins kalte Deutschland, wo wir gestern mit Blitzeis auf dem Weg zum Flughafen rechneten, weil es regnete und fror. Und hier auf La Palma habe ich heute Nacht meine Decke aus dem Bett geworfen, mir war zu warm.
Mein Fuß, der mich die letzten Wochen dank eines angehenden Fersensporns außer Trab gehalten hat, ist heute relativ friedlich. Ich habe durchaus den Verdacht, es könnte psychosomatisch sein, was der sich da erlaubt. Insbesondere, als der Apotheker mir als Gegengift „Hekla Lava“ verkauft hat, dachte ich mir: Nachtigall, ick hör dir trapsen! Ich fahr zu dem lavaspuckenden Vulkan, da will mein Fuß nicht hingehen, das wird der Grund sein, dass er sich so gebärdet. Jetzt bin ich hier, und das Wehen darf jetzt dann mal aufhören.
Der Vulkan ist gar nicht direkt über dem Haus, tatschlich sieht man ihn von hier aus gar nicht mal. Ich muss also nicht auf dem Vulkan tanzen und der Vulkan wird nicht auf mir tanzen. Wir werden uns gegenseitig mit Respekt und Achtung leben lassen und einander möglichst wenig begegnen. Und mein Fuß darf wieder tun, wofür er mir zugedacht ist.
Anfang gut, alles gut!
© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.
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