Heute ist es soweit. Bei Euch daheim leuchten die Kinderaugen, solange der Startschuss zum Geschenkeöffnen noch nicht gefallen ist, die Erwachsenen schauen sich weinselig in die Augen, die künstlichen Lichterketten flackern irr am Weihnachtsbaum in allen Farben, Opa fällt das künstliche Gebiss in die Suppe und Oma hat keine Ahnung, wo ihr Hörgerät ist, und den ganzen Abend geht es um nichts anderes. Holder Knabe im lockigen Haar schmiert seine Rotzglocke an Mamas schönstes Festkleid. Die Gans ist angebrannt und ziemlich dunkel. Beim Blaukraut hat „irgendwer“ vergessen, dass man ab und zu mal durchrühren sollte. Die Geschenke, die das „Christkind“ in stundenlanger Mühsal wunderschön eingewickelt und mit Schleifen verziert hat, sind in 7,3 Sekunden von der Kinderschar ausgepackt worden und entsprechen nicht ihren Wünschen, und somit benehmen sich die kleinen Tyrannen noch ein paar Ticks flegelhafter als sonst – kurzum, Ihr habt Spaß!
All dem bin ich entkommen! Hurra! Und weil ich nicht da bin, ist auch meiner lieber Freund entkommen, er muss nicht mit mir gemeinsam feierlich am Tisch sitzen und gute Miene zum missratenen Essen und der seltsam gezwungenen Unterhaltung machen, die an diesem Tag eventuell aufkäme. Der Sohn darf sich zu Essen bestellen, was auch immer er will, und morgen geht er Skifahren. So sind wir alle happy!
Du bist der Stern, der Weihnachten zum Leuchten bringt!
Der Tag fing allerdings nicht ganz so gut an, es regnete auch heute morgen noch, und ich musste erstmal Wasser von der Terrasse wegschippen, das da ziemlich tief vor der Türschwelle stand. An Weihnachten barfuß im Hochwasser zu stehen hat was. Ein hoffentlich einmaliges Erlebnis! Im Laufe des Tages wurde es dann aber noch ganz nett. In der Zwischenzeit habe ich von der Couch aus mindestens 50 WhatsApp Nachrichten verschickt und sogar welche zurückbekommen.
Der Vermieterin meiner Wohnungsgeberin, einer alten Dame, habe ich von dem gestern gezauberten Salat die Hälfte herausgenommen und eine Art von Tannenbaum mit den Erbsen draufstilisiert. Eine Anisblütenstern durfte als Christbaumspitze dienen. Sie hat sich total gefreut, auch wenn wir uns kaum unterhalten können. Ich jedenfalls verstehe nicht, was sie sagt in diesem komischen unspanischen Kauderwelsch. Ob sie Schulbuchspanisch versteht, ist auch unklar. Ihre Reaktionen entsprechen nicht dem, was man landläufig so erwartet.
Als dann klar war, dass der Regen erstmal ausgestanden ist, fuhr ich an den Strand hinunter. Da entstand folgendes kleines Geschichtchen:
Weihnachtswellen
Carmina hatte am Strand zu ihrer Freude eine freie Liege entdeckt. Es war schon nach 17 Uhr und außerdem Weihnachten. Sie vertraute auf ihr Glück, zu dieser Stunde nicht mehr behelligt zu werden, und ließ sich häuslich nieder. Eigentlich hatte sie nur einen Kaffee trinken wollen, aber dann war sie doch noch ein Stück weiter bis an den schwarzen Strand gefahren.
Sie trug ihr schönes rotes Weihnachtskleid mit Elchen und Weihnachtssternen und langen Ärmeln, das nur drei Tage im Jahr seine Existenzberechtigung einforderte. Die anderen Urlauber waren nackt, standen oder schwammen im Meer. Ein paar Kinder bauten eine Sandburg und riefen immer wieder den Vorübergehenden „Feliz Navidad“ zu, voller Freude, diesen Wunsch in der Fremdsprache gelernt zu haben.
Jemand paddelte in einem schwarzen Holzkanu quer über die Bucht. Die Sonne würde bereits in einer knappen Stunde untergehen. Dann würde es sehr schnell kalt werden.
Auf einmal fiel ein Schatten über sie, der einem jungen, freundlichen Mann gehörte. “Sorry, lady, If you sit here, you have to pay, it’s for rent.”
Sie war erst einmal unschlüssig, was sie tun sollte. Normalerweise wäre sie jetzt verärgert aufgestanden. Aber heute war Weihnachten. Der Wärter musste auch arbeiten. Sein Boss hatte ihn, wie er sagte, heute extra hierher beordert, dabei hatte er gehofft, den Nachmittag mit seiner Freundin verbringen zu können. Am Morgen hatte es nämlich – untypisch für diese Gegend – in Strömen geregnet.
Carmina rückte also die geforderten zwei Euro heraus: “Feliz Navidad!” sagte auch sie mit einem strahlenden Lächeln. Denn schließlich: Wann sonst sitzt man schon Heiligabend am Meer, genau vor dem Sonnenuntergang, während daheim alle anderen die Bescherung unter dem Christbaum zelebrieren?
Die anderen hier am Strand würden später in ihr Hotel zurückkehren und ihr Diner vom professionell dekorierten Galabuffet auswählen, später einer überdrehten Animation lauschen oder das Tanzbein zu Evergreens schwingen, die ihren Eltern gefallen hätten.
Carmina war aber für sich und mit sich hier. Dies war ihre private Weihnachtsfeier mit dem Meer. Nur sie, die Sonne und die Wellen.
Als es Carmina bzw. mir (was? Nööööö, meine Geschichten sind doch niiiie autobiographisch!) dort zu kalt wurde, setzte ich mich noch in das einzig geöffnete Lokal. Ich bekam sogar einen Platz im Warmen. Dort bestellte ich das Tagesmenü. Wiederum hatte ich mit dieser komischen Sprache hier zu kämpfen. Der Kellner sprach auch so, als hätte er keinerlei Zähne im Mund. Man hört nur die Vokale, der Rest bleibt fast alles stumm.
Jedenfalls stellte sich dann heraus, dass ich eine Semmel mit Mojo Rojo und ein Glas Wein bekam. Die Sauce war recht gut und nicht scharf, so dass eine Semmel schon fast zu wenig dafür war. Danach kam dann ein gräulicher Fisch mit Kartoffeln und Salat. Da war der Rest des Mojos drauf ganz dekorativ. Im Anschluss bestellte ich mir noch eine Süßspeise, die als typisch angepriesen war und sich als ein chemisches Wunderwerk erwies, da hier ja doch etwa ein Pfund Zucker so zusammengeschmolzen worden war, dass alles in ein kleines Gläschen passte. Eigentlich sollten da drin Honig, Mandeln und Kekse sein. Davon war nichts zu bemerken. Bienmesabe heißt dieses Zeug, das Ihr besser links liegen lasst, wenn ihr keinen glykämischen Schock haben wollt.
Nun bin ich wieder zuhause, wo ich dem unbekannten Korkenzieher Paroli geboten habe, indem ich seine Funktionsweise gegoogelt habe. Sehr unpraktisch das Ding, ich werde meinen nicht eintauschen. Der Wein-Nachts-Wein ist jedenfalls gut! Auf unser aller Wohl!
© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.
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