Den heutigen Nachmittag habe ich mit Vorbereitungen für die Raunächte verbracht, das Haus mit im Haushalt vorgefundenen Gewürzen (hauptsächlich Lorbeer) geräuchert und von bösen Einflüssen befreit, dann meine 13 Wünsche für 2025 formuliert und aufgeschrieben. Außerdem meine ersten Online-Lektionen in einem neuen Portal absolviert, in dem Digitale Nomaden gut aufgehoben sind. Ich sage Euch, meditieren auf der Terrasse an der Prallsonne, wenn jemand mit einem Auto vorfährt und beim Warten minutenlang auf Volllautstärke mit offenem Fenster alberne Songs dudeln lässt, ist eine Herausforderung!
Ich hatte all das vorgezogen, weil meine Vermieterin mir geschrieben hatte, heute am Tag der Sonnwende wäre möglicherweise am Strand abends ein Happening mit Feuerchen und so. Im Iran (ich war ja 24 Jahre mit einem Iraner verheiratet) feiert man auch in der längsten Nacht des Jahres, Yalda nennt man sie. Da sitzt man beieinander und erzählt Geschichten, isst Granatapfel und Melone und steckt die Füße unter einer Decke beim Korssi zusammen. Das ist ein Bullerofen. Hier bullerte stattdessen die Sonne heute kräftig herunter, und ich schwitzte auf der Terrasse bei meinen Studien und der Meditation. Eigentlich war heute Regen angesagt und ich hatte in vorauseilendem Gehorsam die Kissen schon wieder hineingetragen. War wohl überflüssig. (Aber besser, der Himmel bullert, als er tut ähnliches mit p vorne dran.)
Am Abend fuhr ich dann in froher Erwartung im großen nachts-am-Strand-tauglichen Gewand (schön warm) nach unten und begab mich erstmal in ein Lokal in Hafennähe. Bei all der Auswahl leckerer Speisen trieb mich dennoch immer noch die Fleischeslust am meisten an. Ein Entrecôte auf Rucolabett im Lokal La Bodeguita hatte es mir heute angetan, auch wenn die Pizza noch so gut aussah und fantastische Salate angeboten wurden. Vor meinem Tisch räkelte sich ein girlanden- und schleifengeschmückter Baum mit seltsamen Blättern. Google klärte mich auf, es sei eine Meertraube. Was es alles gibt! Statt Trauben trug er jedoch rote Glocken. Schließlich entdeckte ich eine Traubendolde dran. Die Trauben waren aber grasgrün und steinhart.
Im Hintergrund versank der allerletzte Rest des Tages golden über der bereits kohlschwarzen Mole mit dem kleinen Leuchtturm. Die Wolken tätschelten den geraden langen Steinkoloss mit besänftigender lilaschwarzer Hand. Während ich die Mole betrachtete, wurde ich zurückbeobachtet. Ein Mann mit Käppi, der auf der anderen Straßenseite rechts Richtung Mole an der Mauer lehnte, hatte nicht verstanden, dass nicht er das Objekt meiner Begierde war, sondern nur was hinter ihm lag. Auf die linke Seite zu gucken, lohnte sich für mich nicht mehr, da war es bereits Nacht. Endlich kam mein Essen, so dass ich einen Fixpunkt für meine Augen hatte, die immer wieder herumirrten und versuchten, diesen Typen dabei völlig zu ignorieren.
Erst später, als ich bereits fast fertig gespeist hatte, gab der Mann auf, mir hoffnungsvoll auf den Mund zu starren. Ich hatte schon überlegt, ob ich mich nicht auf den Stuhl gegenüber setze, wo ich ihm den Rücken zugekehrt hätte. Als säße ein hungriger Hund neben mir. Vielleicht war das auch so einer, der sich stundenlang Videos von nudelschlürfenden Frauen ansieht. Er genoss es offenbar, wie mir Tomatenstückchen von der Gabel purzelten und der Rucola frech aus dem Mundwinkel hing. Das Fleisch schmeckte mir schon bald nicht mehr, während er mir so lüsternen Blickes entgegengeiferte.
Auf das Feuer am Strand wartete ich vergebens, da war rein überhaupt nichts los. Ich ging extra noch am Hafen entlang, nicht dass ich es irgendwo übersah. Aber nein. Mein Freund schrieb mir, ich solle doch alternativ die Kneipen unsicher machen. Wollte ich das? Tut frau sowas heutzutage? Früher ging ich in Kneipen, wenn ich wen aufreißen wollte. Daran habe ich kein Interesse. Da hätte ich ja bloß dem Mann mit dem Käppi einmal genau ins Gesicht schauen müssen. Nene, keine Chance. Nix mit „Auspack und freu!“
Ich fuhr also zurück in meinen Ort und überlegte, was ich mit diesem Abend noch anfange. „OK, der Deal mit dem Schicksal ist: Wenn es einen Parkplatz gibt, schaue ich mir dort noch an, was los ist und ob es überhaupt Kneipen gibt.“ Ich öffnete beide Vorderfenster, um nichts zu überhören, falls irgendwo was geboten wäre. Oh Wunder – im Ort war irgendwie die Hölle los. Es wurde Live-Musik vor einem Lokal gespielt, es waren eine Masse Menschen auf der Straße, der Weihnachtsmarkt sorgte dafür, dass ich endlich ge-wham-t wurde mit Last Christmas und somit in der Challenge ganz schön lange durchgehalten habe, bis es mich ereilt hat, dass ich das Lied dieses Jahr zum ersten Mal abgekriegt habe. Aber kein Mensch schickte sich an, nach Hause zu fahren und einen Parkplatz frei zu machen.
Nun denn. Hier sitze ich also auf Judiths Terrasse und höre dem Kuddelmuddel von unten aus sicherer Entfernung zu. Ehrlich gesagt, klingt es ziemlich erschröcklich. So als würden verschiedene Musiker einzeln jeweils über längere Passagen ihr Instrument in Volllautstärke zum ersten Mal seit Jahren wieder in Betrieb nehmen. Dazwischen Fetzen von Weihnachtsschunkelmusik. Die Spanier sind schon ziemlich laut! Mein Glas Wein wartet friedlich neben mir, ohne dass mich jemand blöd beglotzt, und die Raunachtskerze flackert mir gemütlich und heimelig was vor. Es gibt Oliven mit Anchovis und später Granatapfel.
Ich hatte mir nachmittags einen Zettel vorbereitet, was mit der 1. Raunacht alles gehen darf, was in meinem Leben keinen Bestand mehr haben soll. Ich schreibe noch dazu: Lurerglotzaugen lüsterner Spanner und Machogehabe. Den werde ich jetzt gleich verbrennen, damit diese Dinge dem Universum zurückgeschickt werden. Adieu! Auf Nimmerwiedersehen.
© 2024 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.
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